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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Verbotene Publikationen“ – Sputnik

Mein kleiner Buchladen: „Verbotene Publikationen“ – Sputnik

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDienstag, 31.10.2017

Im November 1988 erschien in der DDR die letzte Nummer des „Sputnik – Digest der sowjetischen Presse“. Ich fischte neulich genau dieses Heftchen aus einer Kiste alter Magazin, Spiegel und Geo-Ausgaben und begriff nicht sofort, was das für ein Fund war – bis ich im Vorsatz einen kleinen vergilbten, eingeklebten Zeitungsausschnitt mit folgendem Text bemerkte:

Mitteilung der Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen:

Berlin (ADN). Wie die Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen mitteilt, ist die Zeitschrift „Sputnik“ von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Sie bringt keinen Beitrag, der der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, statt dessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.

Von der Postzeitungsliste gestrichen. Das ist also wirklich das heiße Heft, nach welchem im Herbst 1988 DDR-weit gesucht wurde, dessen Inhalt beim weitererzählen dramatische Ausmaße annahm, dessen Verbot das Fass zum Überlaufen brachte, als Vorbote der friedlichen Revolution von 89…

Die Zeitschrift „Sputnik“ wurde seit 1967 von der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti in mehreren Sprachen vor allem für das Ausland produziert und umfasste in der DDR 130.000 Exemplare im Abonnement und 60.000 im Einzelverkauf. Ich las den „Sputnik“ damals nicht, im November 1988 hatte ich mich innerlich schon von der DDR verabschiedet und wartete nur noch auf eine Möglichkeit, mich aus dem Staub zu machen. Umso spannender ist es für mich, knapp 30 Jahre später lesen zu können, was das begehrte Heft auf 175 bunten Seiten bot. Zum Beispiel die Beiträge: „Das Wort des Chefredakteurs (Wo sind wir denn früher gewesen?)“, „Aspekte der Umgestaltung“ und „Glasnost, Demokratie, Persönlichkeit.“

Beim Blättern springt mir zunächst Werbung ins Auge, ganzseitige Anzeigen mit Bildern eines Wasser durchpflügenden Ladas „Kraftfahrzeugzubehör aus der UdSSR - günstige Lieferfristen, umfangreiches Sortiment, Versand an jede beliebige Adresse – AVOTOEXPORT“ oder eine junge Frau, die sich über ein Mikroskop beugt „hochwertige Optik für junge Naturforscher - Mikroskop ANALIT, für Laboruntersuchungen, Masse unter 1 kg – MASHPRIBORINTORG“ und über einem Foto einer nächtlich stark befahrenen Straße der Schriftzug „SOVINTERAVTOSERVICE - Ihr zuverlässiger Helfer auf den Strassen der UdSSR… Hilfe bei Erledigung von Zollformalitäten, Unterbringung in Hotels…“ - am unterem Seitenrand die fett rot gedruckte Information: „DAS IST NUR EIN TEIL DESSEN, WAS SOVINTERAVTOSERVICE FÜR SIE ZU TUN BEREIT IST!“

Wenige Seiten später beendet der Chefredakteur seinen Artikel „Wo sind wir denn früher gewesen?“ in einer Klarheit, die den DDR-Funktionären wohl die Nackenhaare aufgestellt hat:

„Die Perestroika ist keine Zeit der großen Abrechnungen, sondern eine Zeit, da wir unser Handeln unter neuen Bedingungen überdenken. Wer der Gesellschaft nichts zu bieten hat, soll anderen Platz machen. Meiner Meinung nach muß die Frage so gestellt werden. Das ist, zugegeben, recht hart, aber gerecht.“

Mit Leserbriefen zur Rolle Stalins im zweiten Weltkrieg (die Ausgabe 10/1988 hatte erstmals unter der Überschrift Stalin und der Krieg über den von der SED geleugneten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt berichtet) und zum russisch-amerikanischen Verhältnis geht es weiter zu Artikeln über die Rolle der Kolchose, die Reorganisation des Filmwesens und einem Statement des Filmregisseurs Eldar Rjasanow; „Wir sind keine Speichen im Rad.“ Dieser achtseitige Text ist zweifarbig illustriert und ich weiß nicht, was ich zuerst zitieren soll – da ist das kleine Bild einer ledergepolsterten (Funktionärs-)Tür, die aufgerissen wird, eine überdimensionale Männerfaust haut in den Raum, darunter steht: Die „starken Männer“ räumen das Feld nicht kampflos. Eine andere Illustration zeigt einen Mann auf einem Bildschirm, dem eine große gemalte Hand den Mund zuhält, über dem Schriftzug: Warum ich in der Epoche von Glasnost mit dem Fernseher gebrochen habe. Es handelt sich um dramatische Szenen der Perestroika aus der Feder jenes Regisseurs, die etwas polemisch von den tiefgreifenden Veränderungen der russischen Gesellschaft erzählen.

Der folgende Text titelt: „Bericht über einen Andersdenkenden“ – es ist die Geschichte eines Journalisten, dessen Wohnung 1983 durchsucht, sein Archiv und seine Tagebücher konfisziert wurden – wegen des Verdachtes „politisch schädlicher und ideologisch unausgewogener Einschätzungen einzelner Aspekte der sowjetischen Wirklichkeit“, am Ende des Artikels hat er den jahrelangen Kampf gegen diese Willkür gewonnen und erhält sogar sein Parteibuch zurück. Hier muss ich das Heft zuschlagen, die Euphorie des sowjetischen Aufbruchs von 1988 macht mich melancholisch.

Angesichts des grimmig bunten Frauengesichtes auf dem Cover beschleicht mich bald wieder ein Lächeln und ich schlage den betreffenden Artikel auf, es ist der mehrseitige Report der „Art-Rock-Parade ‚Assa‘“, die just im Kulturpalast des Moskauer Glühlampenwerkes stattgefunden hat. Einen Monat lang wurde die Aufführung des Filmes „Assa“ (Regie Sergej Solowjow) vor 800 Zuschauern von einer „echten Jugendshow“ begleitet. „Es spielten bekannte Rock-Gruppen, avantgardistische Mode wurde gezeigt, und auch ebensolche Malerei war zu sehen. Und das alles spielte sich zum Teil sogar nachts ab.“ Jeder machte, was ihm gefiel. Die einen fachsimpelten über Kunst, „andere ergötzten sich an den Darbietungen von Illusionisten, wieder andere aßen belegte Brote…“

Ein Spaziergang durch Odessa, ein 19-seitiger Bericht über Lenins letzte Tage, ein Report zur Liquidation des Jugendverbandes des Komsomol in den dreißiger Jahren und eine Werbung für handgeknüpfte orientalische Teppiche runden den verbotenen "Sputnik" ab. Ach, den Artikel "Ufos - Mutmaßungen und Argumente" wollte ich noch lesen. Mach ich heute Nacht.

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