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Flucht und Einwanderung

Gestern & Heute: Wie erhellen Seuchen soziale Konflikte, die sonst im Dunkeln bleiben?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDienstag, 17.03.2020

Das Corona-Virus verschafft den Privilegierten dieser Welt eine Ahnung davon, wie sich tägliche Stigmatisierung anfühlt.

Diese These diskutiert der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Branko Milanovic, der sich immer wieder mit Migrationen auseinandersetzt.

Das gilt vor allem für Europäerinnen und Europäer, die sich seit dem Schengener Abkommen daran gewöhnt haben, ohne Pass oder höchstens mal mit einem Visum von Land zu Land zu reisen und (dank ihres hohen Einkommens) mit offenen Armen empfangen zu werden. ... Wer auf Reisen jahrelang so gut wie keine Einschränkungen erlebt, hält das für normal und erwartet, dass es immer so weitergeht. Man verschwendet kaum einen Gedanken an die anderen und betrachtet deren Reisebeschränkungen als bedauerliches, aber leider unausweichliches Schicksal.

Schon immer erhellten Seuchen, Epidemien und andere extreme Ereignisse soziale Konflikte, die die Wohlhabenden ahnen, aber über die sie nicht Nachdenken wollen.

So war es schon während der Pest im 14. Jahrhundert, die der Autor nur streift.

Rückblende: Hier gibt es einen konzentrierten Überblick über diese umstürzende Katastrophe. Da damals Krankheiten als Strafen Gottes galten, wollten sich die Reichen freikaufen, der Ablasshandel der Kirche blühte.

Mithilfe von Ablässen konnten sich die Menschen für eine bestimmte Zeit von ihren Sünden und somit auch vom reinigenden Prozess des Fegefeuers freikaufen.

Venedig, eine damalige Weltmacht des Schiffsverkehr, erkannte als erste Zusammenhänge von Handel und Auswanderung, von Flucht und Seuchen:

Reisende, die aus verpesteten Städten kamen, standen zunächst für 40 Tage unter Beobachtung. Für diese Zeit mussten sie auf der Insel Lazzaretto Nuovo in der Lagune von Venedig bleiben. Aus dieser Zeitspanne der Isolation entstand der Begriff "Quarantäne", denn "quaranta" ist das italienische Wort für 40.

Zurück zur Gegenwart:

Für viele Italiener oder für US-Amerikaner, die aus Italien zurückkehrten, war es ein Schock, dass sie eine "statistische Diskriminierung" erlebten, die sie bei People of Color oft gleichgültig hinnehmen.

Der in Belgrad geborene Branko Milanović, der im sozialistischen Jugoslawien promovierte, weiß aus eigenen Erlebnissen, worüber er spricht.

Das Virus schuf einen Ausgleich und gab einigen von uns Anlass, einmal darüber nachzudenken, ob es eigentlich eine berechtigte Maßnahme ist, auf der Basis statistischer Informationen über Gruppen einzelne Menschen ins Visier zu nehmen. ...

Die „statistische Diskriminierung“ ist meines Erachtens derzeit fast unvermeidbar. ...

Trotzdem sollten wir die moralische Rechtfertigung solcher Maßnahmen hinterfragen und darüber nachdenken, ob sie nicht dem Individuum die Verantwortung für eine ganze Gruppe übertragen oder gar einzelnen Gruppen implizit eine kollektive Schuld zuschreiben.

Hoffen wir, dass das Corona-Virus nicht so viele Menschen tötet wie der Schwarze Tod der Pest im 14. Jahrhundert, aber uns ähnliche Auswege zeigt wie dieser für die Nordeuropäer.

Branko Milanović dazu:

In Nordeuropa ..., wo die feudalen Institutionen nicht so stark waren (im Vergleich zu Südeuropa, A. E.), gewannen die Arbeiter nach dem Schwarzen Tod an Freiheit, und ihre Arbeitskraft wurde teurer. Das war die Grundlage für technischen Fortschritt und später für die industrielle Revolution.

Gestern & Heute: Wie erhellen Seuchen soziale Konflikte, die sonst im Dunkeln bleiben?

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