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Zeit und Geschichte

Unpiq: Der Kitsch der Geschichtsdarstellung

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDienstag, 21.11.2023

Ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiter besteht, ob gemeinnütziger Journalismus verstärkt gefördert wird, ist weit bedeutsamer als viele glauben.

Deshalb ist entscheidend, deren Darstellungen zu beleuchten und kritisch einzuordnen.

Der Film "Hitlerputsch 1923: Das Tagebuch der Paula Schlier" hätte ein großer Film werden können. Er beruht auf einem bedeutenden Dokument, das vielen unbekannt ist.

Von wem stammt eines der ersten investigativen Meisterwerke in Deutschland?

Die 24-jährige Paula Schlier schlich sich in den "Völkischen Beobachter", um von innen heraus die NSDAP zu entlarven und geriet in Hitlers Putsch.

Leider ist die filmische Umsetzung arg misslungen.

Der Kritiker Gustav Seibt schrieb in der SZ eine fundierte Kritik, die über den Einzelfall hinausweist.

Der historische Abstand wird weginszeniert, in dem der Text umgeschrieben wird in unseren Sprachgebrauch – eine wahrlich nicht nur hier anzutreffende Unsitte.

Die Publikumsansprache wird nicht zum Verfremdungseffekt genutzt, sondern dient zur Identifikation mit einer Person.

Die Konstellation zwischen einer Brückenfigur, die denkt wie wir, und einer rasenden Vergangenheit öffnet keinen Zugang, sie verschließt ihn.

Dazu kommen viele Sachfehler, weil die Filmemacher sich offenbar in der Geschichte der Weimarer Republik zu wenig auskennen.

Paula darf Schulfunksätze aufsagen, beispielsweise zum Ende des Ersten Weltkriegs: „Die Regierung in Berlin hat die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet, um noch mehr Tote zu vermeiden.“ Nein, es handelte sich 1918 gerade nicht um eine bedingungslose Kapitulation wie 1945. Auch kam es zur deutschen Bitte um den Waffenstillstand nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern weil die Oberste Heeresleitung, namentlich Hitlers Mitputschist Ludendorff, den Krieg zu diesem Zeitpunkt für verloren hielt.

Vergleichbare Fehler zeigt der Kritiker bei den Originalaufnahmen und bei den Kostümen, die zum Teil aus anderen Zeiten stammen. 

Gustav Seibt ernüchterndes Fazit, dem ich mich anschließe:

Eine historische Aufklärung, die so funktioniert, als sei eine Reporterin aus unserer Gegenwart in die Vergangenheit hineingeschneit, muss auf halbem Weg stecken bleiben. Leider ist das inzwischen der übliche Standard der Geschichtsvermittlung in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Dabei fehlt es nicht an Mitteln: Die Kulissen und die Kostüme sind aufwendig. Aber das wohlig-rätselnde-gruselige Dabeisein bleibt Illusion.

Unpiq: Der Kitsch der Geschichtsdarstellung

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Kommentare 5
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor einem Jahr

    ah das mit der Sprache, damit kann ich leben. Aber die Sachfehler sind 1. unprofessionell und unschön und 2. bedenklich!

  2. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor einem Jahr

    Es gibt übrigens auch einen Podcast über Paula Schlier (den ich selbst aber noch nicht angehört habe) https://www.ardaudioth...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      Danke für die Ergänzung.

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Jahr

      @Achim Engelberg Wobei ich ja grundsätzlich denke, dass man sich den Film trotz Seibts Kritik ansehen sollte. Die Geschichte ist einfach zu gut – und zu unbekannt. Man kann und sollte die kritischen Einwände dann ja im Kopf behalten.

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      @Dirk Liesemer Ich rate zum Buch.

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