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Volk und Wirtschaft

Hat die Aufklärung doch nicht versagt?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSonntag, 03.02.2019

Wenn man seinen täglichen Medienkonsum intus hat und einige Facebook-Diskussionen hinter sich, dann ist man versucht die Welt und die Aufklärung abzuschreiben. Steven Pinker und Hans Rosling gaben hin und wieder Hoffnung, das Fakten diese Sicht auf uns verändern können. 

Pinker antwortet in seinem Essay auf die zentralen acht Einwände der Kritiker  seines Buches „Aufklärung jetzt“:

Sie gaben der Aufklärung die Schuld für Rassismus und Imperialismus, existenzielle Bedrohungen und epidemische Einsamkeit, Depressionen und Suizid. Sie mäkelten, die Daten, die den Fortschritt belegen, beruhten nur auf Rosinenpicken. Und sie höhnten, mit kaum verhüllter Schadenfreude, die Aufklärung sei eine Idee mit Verfallsdatum, sie habe im Zeitalter des autoritären Populismus, der sozialen Netzwerke und der künstlichen Intelligenz keine Zukunft.

Nimmt man beispielsweise die drei Parameter die wesentlich für das Wohlbefinden der Menschen sind, Lebenenserwartung, Wohlstand und Bildung „(also gesund, reich und weise sein)“, wird man grundsätzlich weltweit positive Entwicklungen sehen - wirtschaftlich und sozial. 

Die Medien, der Journalismus betreibt hingegen per definitionem, so Pinker, vor allem Rosinenpicken. 

Er berichtet von raren Ereignissen, wie Kriegen, Epidemien oder Katastrophen, nicht vom Alltag, also von Frieden, Gesundheit und Sicherheit. Diese Neigung zum Negativen verstärkt sich noch, weil die Journalisten um Klicks kämpfen und als Moralprediger ihr Publikum aus seiner Selbstzufriedenheit reissen wollen.

So denken in den meisten Ländern die Menschen, ihre Mitmenschen seien unglücklicher, als sie es von sich selber meinen. 

So glauben die Amerikaner, weniger als die Hälfte ihrer Landsleute seien glücklich; in Wirklichkeit sind es 90 Prozent.

Ja, die Aufklärung hat sich nicht durchgesetzt, aber vielleicht hat sie auch noch nicht endgültig versagt. Diskutieren wir das (nicht nur mit Pinker) und auch an Hand der Daten  des leider so früh verstorbenen Hans Rosling.


Hat die Aufklärung doch nicht versagt?

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Kommentare 9
  1. Wolf Doleys
    Wolf Doleys · vor fast 6 Jahre

    “Mag sein, daß es später einmal gelingt, Zivilisationsprozesse, die sich heute in uns und um uns nicht viel anders als Naturereignisse vollziehen und denen wir auch gegenüberstehen wie mittelalterliche Menschen den Naturkräften, durch ein klareres Verständnis einer bewußteren Lenkung zugänglich machen.”

    „Was den Zivilisationsprozeß des Abendlandes zu einer besonderen und einzigartigen Erscheinung macht, ist die Tatsache, daß sich hier eine Funktionsteilung so hohen Ausmaßes, Gewalt- und Steuermonopole von solcher Stabilität, Interdependenzen und Konkurrenzen über so weite Räume und so große Menschenmassen hin hergestellt haben, wie noch nie in der Erdgeschichte.“
    Norbert Elias, Prozeß der Zivilisation, Bd. 2, II Ausbreitung des Zwangs zur Langsicht und des Selbstzwangs, S. 336

    Aber Elias’ Analyse beginnt erst im Mittelalter. Der Beginn liegt in Athen, das - anders als Sparta, dem es später unterliegt - Person und Individuum und Demokratie entdeckt. Christian Meier nennt es “das griechische Wunder”. Das übersieht Elias. Die Sozialdemokraten dieser Welt arbeiten heute an der Demontage “des Zwangs zur Langsicht und des Selbstzwangs”.

  2. Wolf Doleys
    Wolf Doleys · vor fast 6 Jahre

    PINKER UND DIE AUFKLÄRUNG
    “Es gibt eine Reihe von sehr zentralen Theoriemerkmalen und Forschungseinstellungen in der Soziologie, die unter einem erweiterten Begriff der Aufklärung interpretiert werden können, und dieser erweiterte Begriff der Aufklärung läßt wiederum besser erkennen, was mit dem geschichtlich zurückliegenden Versuch der Vernunftaufklärung eigentlich verfolgt wurde und warum dieser Versuch scheitern mußte. … Letztlich läuft die Abklärung der Aufklärung mithin auf ein Reflexivwerden des Aufklärens hinaus. … Aus dem, was einst ihre Prämissen waren, aus den Annahmen über den gemeinsamen Vernunftbesitz und absehbare Zwecke der Menschheit, holt die Aufklärung ihre immanenten Schranken heraus. … daß die Komplexität der Welt nur erfaßbar ist, wenn sie auch reduziert werden kann. Erst dieses Gesetz gibt ihr die Möglichkeit, Bedingungen und Chancen einer wirklichen Aufklärung zu erkennen.” (Luhmann, Soziologische Aufklärung I, Abklärung der Aufklärung, S. 66ff.
    Pinker bezieht sich auf die nichtreligiöse Aufklärung, wenn er auf “the good without god” vertraut, auf das, was Luhmann die “Vernunftaufklärung” nennt, und deren Scheitern wir alle erlebt haben von Carlyle bis Pol Pot. So weit ich sehe, reflektiert Pinker nirgendwo die Bedingungen dieses Scheiterns. Er mutet etwas unterkomplex an, wenn er postuliert: neuer Versuch!

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 6 Jahre

      Ich verstehe Ihren Punkt. Aber haben wir eine andere Chance als Lernen und das Gelernte weiterzugeben? Ich weiß, es ist zum Verzweifeln. Vielleicht sind Menschen, Gesellschaften auch nicht für die Beherrschung von Komplexitäten gemacht. Probieren müssen wir es ...

  3. Wolf Doleys
    Wolf Doleys · vor fast 6 Jahre

    PINKER UND DER HUMANISMUS
    “Vernunft, Wissenschaft, Humanismus” - das ist wohl eine Steigerungsfigur. “Humanismus”, das klingt gut, so gut wie das Wahre, Schöne und Gute. Oder vielleicht noch besser. Aber es klingt auch nach Giordano-Bruno-Stiftung, an deren Rand Kindervergewaltigung zur humanistischen Freiheit propagiert wurde, frei nach Wilhelm Reich und Cohn-Bendit. Humanismus hat dergestalt eine linke Schlagseite. Pinker sieht das allerdings ganz sinpel: Leben, Gesundheit, Freude, Freiheit, Wissen, Liebe, Erfahrungsreichtum - das können wir Humanismus nennen. (Kap. 23) Ob er sich da zu wenig Gedanken macht?
    Luhmann, auch nicht dumm, kann dem Humanismus nicht viel abgewinnen: “Was unterscheidet Sie von dem, was Sie ‘Alteuropa’ nennen?
    Luhmann: Vor allem kritisiere ich den Humanismus des alten Europas. Im 18. Jahrhundert kam es zu einem radikalen Wendepunkt und zur Geburt der Moderne. Sind wir fähig, diesen Wandel fortzusetzen? Oder beziehen wir uns, wie es so oft geschieht, auf alte Konzepte? Wenn wir noch im 21. Jahrhundert in Begriffen wie Natur, Mensch, Moral und Vernunft sprechen, verlieren wir den ‘Sinn’ des Ganzen. Das ist unsere Krise: ein ‘Sinnverlust’”.
    (Luhmann, Archimedes und wir. Interviews. S. 58f.)
    All die Verbesserungen, die Pinker vorführt, verdanken sich nach Luhmann einer Moderne, in der “der Mensch nicht mehr Maß der Gesellschaft (ist). Diese Idee des Humanismus kann nicht kontinuieren. Denn wer wollte ernsthaft und durchdacht behaupten, daß die Gesellschaft nach dem Bilde des Menschen, Kopf oben usw., geformt werden könnte. (L., Soziale Systeme, S. 289)
    Die alte Gesellschaft des kaiserlichen Chinas “mit Kopf oben” stagnierte und verfiel, während die europäische Moderne prosperierte - mit sich verselbständigenden Institutionen statt absolutistischer Zentralgewalt. Sorgen ‘unsichtbare Hände’ (A. Smith) für Pinkers “happiness, freedom, knowledge, love, richness of experience” (P., Ch. 23, Humanism)? Und bekommt Pinker das nicht genügend in den Blick?

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 6 Jahre

      “Leben, Gesundheit, Freude, Freiheit, Wissen, Liebe, Erfahrungsreichtum” für die höchstmögliche Zahl, dass wäre doch schon mal was. Nur wie ist das zu erreichen? Der heutige Zustand der Gesellschaften ist sicher nicht der geplante oder gewollte. Er ist Ergebnis von Evolution, die Resultierende von unendlich vielen Plänen, Zufällen und Kommunikationen. Der Glaube, die Zukunft direkt und einfach nach unseren Idealvorstellungen zu gestalten ist aber unausrottbar. Wie stellt man eigentlich fest, was vernüftig wäre? Geht ja erst hinterher, es muß sich erweisen ....

  4. Wolf Doleys
    Wolf Doleys · vor fast 6 Jahre

    Pinker und die Wissenschaft

    “Deshalb wird ein Rationalist, auch wenn er glaubt, daß er den anderen intellektuell überlegen ist, alle Autoritätsansprüche ablehnen. Er weiß, daß diese Überlegenheit nur insofern besteht, als er fähig ist, von der Kritik sowie auch von den Fehlern zu lernen, die er und andere begehen, und daß er nur dann daraus lernen kann, wenn er andere und ihre Argumente ernst nimmt.”
    Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. II, S. 278f.
    Popper führt hier einen Gedanken Kants aus dem legendären Aufklärungsaufsatz weiter:
    "Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich."
    (Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?)
    Bedauerlicherweise verhält sich Pinker gegenüber einem Kardinalproblem von Wissenschaft und Politik recht irrational: er glaubt tatsächlich an die CO2-Legende und die Klimaerwärmung, die inzwischen camouflierend “Klimawandel” heißt. Die Devise der Physik heißt “Messen, messen, messen”, das gilt auch für die Atmosphärenphysik; hingegen beschwören die Klimamodelle die Mathematik, die Devise heißt dort “Rechnen, rechnen, rechnen”. Wo gerechnet wird, verrechnet man sich auch. Wird in langen Formelketten ein Parameter geringfügig verändert, können sich Ergebnisse stark verändern. Und Pinker müßte wissen, daß die Klimamodelle die Klimavergangenheit nicht abbilden können.
    Auch die vielen Kritiker des IPCC müßte er vernommen haben, etwa die ausgewiesenen Klimatologen Richard Lindzen, Judith Curry, John Christy, Roy Spencer u.a., die Lindzens Petition an Trump („Ziehen Sie sich aus der UN Convention on Climate Change zurück!“) unterschrieben haben.
    Was Michael Mann, Phil D. Jones (“Hide the decline”) und die Klima-Alarmisten tun, haben Hans Albert und Popper ‘Immunisierung gegen Falsifikation’ genannt.
    “... wir haben nicht nur die Pflicht, Argumente anzuhören, sondern wir haben auch die Pflicht, zu antworten, zu reagieren, sobald andere durch unsere Handlungen beeinflußt werden.” (Popper, ebd.)
    Beim Klima-Alarmismus geht es um Abermilliarden. Pinker übernimmt kritiklos, was die Netzwerke interessierter Klimaphysiker und -politiker präsentieren. Obwohl die Klimamodelle mit ihrem Vergangenheitsversagen bereits falsifiziert sind. Damit befindet sich Pinker nicht auf der Höhe der Aufklärung.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 6 Jahre

      Vielleicht ist Pinker Realist genug, um nicht gleich gegen alle Wissenschaftskommunities auf einmal anzutreten?

  5. Wolf Doleys
    Wolf Doleys · vor fast 6 Jahre

    In den meisten Punkten hat Pinker recht. Aber an seinem blitzblanken Quartett “Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt” bestehen gewisse Zweifel.
    Wie vernünftig ist die Vernunft?
    Bei Kant ist sie “das ganze obere Erkenntnisvermögen”, sie verwirklicht sich in den intellektuellen Funktionen des Denkens in Begriffen und Urteilen auf der Grundlage der Denkvoraussetzungen.
    Im Unterschied zum Verstand bringt sie dessen Vorarbeit “unter die höchste Einheit des Denkens”.
    Das leuchtet zunächst ein, denn wer die Wissenschafts- und Denkgeschichte durchmustert von Platon bis Kahneman, der findet mehr Irrtümer als Erkenntnis. Erst in der Gegenwart - bei Tversky und Kahneman - wird das ganze Ausmaß an Irrtumsmöglichkeiten und Denkfallen sichtbar, so daß man mit Faust ausrufen könnte:
    “O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen.” (Faust I, Vor dem Tor)

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 6 Jahre

      Eigentlich muß man sich immer so verhalten, dass man die Wahrscheinlichkeit des Irrtums in seine „vernünftigen“ Entscheidungen einbaut. Also Popper folgend, kleine und notfalls rückgängig zu machende Schritte tun. Ein Horror für all unsere Aktivisten.

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