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Kopf und Körper

Feature über einen Pädophilen, der kein Täter werden will

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerDonnerstag, 22.09.2022

Es ist immer ein wenig ungünstig, eine Feature-Empfehlung hiermit zu beginnen, dennoch ist es insbesondere bei diesem sensiblen Thema wichtig und sinnvoll, daher hier vorab die unvermeidliche Trigger-Warnung: Dieses Feature thematisiert explizit sexuelle Gewalt an und Missbrauch von Kindern (sowie Suizidgedanken). Es werden Dinge gesagt und geschildert, die belastend oder retraumatisierend wirken können. Hier einige Anlaufstellen für sofortige Hilfe:

Angehörige/Betroffene von sexueller Gewalt:
https://www.hilfeportal-missbrauch.de/startseite.html

Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“:
https://www.kein-taeter-werden.de/

Suizidgedanken: https://www.telefonseelsorge.de/

Pädophilie ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein großes Tabu. Sie wird von vielen sofort verbunden mit den massiven Fällen von grausamstem Kindesmissbrauch, von denen die Medien regelmäßig berichten, wenn ein weiterer Skandal aufgedeckt wird. Allerdings ist dem Titel des Features "Mensch und nicht Monster – Franz Wuth ist pädophil und will kein Täter werden" schon ein Kernpunkt zu entnehmen, der hier auch explizit im Feature benannt wird. Pädophilie ist zunächst einmal "nur" eine Neigung.

"Pädophile missbrauchen nicht automatisch Kinder. Wissenschaftler sagen, dass sie für etwa 40 % der Missbrauchsfälle verantwortlich sind. Nicht alle Pädophile werden also zu Tätern. Und nicht alle Täter sind pädophil. Pädophilie ist eine sexuelle Neigung oder Störung und nicht heilbar, aber in einer Therapie kann man lernen, damit umzugehen."

Wie viele Menschen diese Neigung in Wirklichkeit haben, kann nicht genau gesagt werden, denn die Dunkelziffer ist aufgrund des großen Tabus schätzungsweise hoch.

"Es ist ja immer auf Selbstauskunft angelegt, und das ist ein schambesetztes Thema. (...) Was man sicher sagen kann, ist, dass Männer immer häufiger betroffen sind als Frauen. Und was man auch sagen kann, ist, dass das schon relativ früh beginnt." (Christian Huchzermeier)

Es gibt vermutlich einen großen Anteil in der Bevölkerung, der diese Neigung hat, sie aber unter Kontrolle hält und somit vollkommen unauffällig bleibt. Aktuell geht man von 1 % der männlichen Bevölkerung aus, was in Deutschland etwa 250.000–300.000 Männern entspricht. Für Menschen mit dieser Neigung, die fürchten, die Kontrolle über sich verlieren zu können, gibt es seit etlichen Jahren das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden". Wie wichtig solche Anlaufstellen sind, wird auch in diesem Feature deutlich.

"Wir haben ganz junge Männer, die am Anfang ihres Sexuallebens stehen und irritiert sind, dass sie von kindlichen Körpern angesprochen werden. Und dann haben wir aber auch die älteren oder alt gewordenen Männer, die eigentlich immer wussten, pädophil zu sein, für sich das auch kontrollieren konnten, aber auf einmal, durch irgendein Lebensereignis, irgendne Krise, sie das Gefühl haben, sie stehen kurz davor, übergriffig zu werden. (...) So verteilt sich das durch alle Schichten, durch alle Bildungsgrade und alle Altersgruppen."

Der Pädophile, der in der Sendung unter dem Pseudonym Franz Wuth porträtiert wird, hat lange mit Kindern gearbeitet, hat sogar selbst Kinder. Dass er für seine Kinder gefährlich werden könnte, fürchtet er früh – bei einer Situation am Wickeltisch mit seiner Tochter. Das war in den 90er-Jahren.

"Franz Wuth greift zum Telefon und sucht nach einer Therapeutin. Er will seine Neigung in den Griff kriegen. Doch so einfach ist das nicht. (...) Der Sexualmediziner und Psychotherapeut Christian Huchzermeier sagt mit Blick auf diese Zeit: 'Männer, die Probleme mit ihrer Pädophilie hatten, hatten große Schwierigkeiten,  'nen Therapeuthen zu finden, der sich dieser Thematik annehmen wollte. Also nicht unbedingt nur weil man sagt, nee, das ist schmuddelig, das will ich nicht, sondern man braucht ja auch gewisse Spezialkenntnisse, um mit diesen Männern arbeiten zu können.' "

Franz Wuth hat sowohl die Kinder, mit denen er gearbeitet hat, als auch seine Kinder – nach eigenen Aussagen – nie angerührt, begibt sich regelmäßig in therapeutische Behandlung. Irgendwann weiht er auf Empfehlung des Therapeuten seine Frau, mit der er 22 Jahre zusammen blieb, mit ein. Die achtete fortan darauf, dass der Vater nie mit den Kindern allein blieb. Doch unschuldig ist Franz Wuth nicht, denn er konsumiert lange heimlich Kinderpornografie – ein Begriff, den die Autorin als euphemistisch entlarvt, denn es handelt sich schließlich um schwerste, traumatisierende Gewaltverbrechen an Kindern. Die Taten von Franz Wuth seien inzwischen verjährt, heißt es, doch in der Therapie gesteht sich Franz Wuth erstmals ein, dass er sich auch durch den Konsum von kinderpornografischem Material zum Mittäter macht. Das reicht aber nicht.

"Weil er von den Missbrauchsbildern nicht loskommt, entscheidet sich Franz Wuth 2015 gemeinsam mit seinem Therapeuten - einem Kollegen von Huchzermeier - zu einem radikalen Schritt: Er lässt sich chemisch kastrieren. Alle drei Monate spritzt ihm sein Urologe seitdem das Medikament Salvacyl, das seinen Testosteronspiegel senkt."

Der offene Umgang mit dem Thema und schließlich auch die Entscheidung für die medizinische Behandlung ermöglichen es ihm, sich freier zu fühlen und eine gute Beziehung zu seiner Tochter und den Enkelkindern zu führen. Das gelingt mit Vorsicht, wechselseitiger Ehrlichkeit und Wachsamkeit hinsichtlich Franz Wuths Neigung. Obwohl die Behandlung starke Nebenwirkungen mit sich bringt, und Franz Wuth sich im Klaren darüber ist, dass er dennoch bis zu seinem Lebensende pädophil bleiben wird, bereut er die Entscheidung nicht. Diese Erfahrungen kann auch Huchzermeier bestätigen:

"Die, die sich dafür entscheiden, berichten oft, dass sie dadurch erstmals in der Lage sind, auch mal an was anderes zu denken. Also das ist wirklich dann auch ne starke Entlastung für diese Patienten (...)."

Die Kernaussage dieses Features ist wohl, dass es unumgänglich ist, sich gesellschaftlich stärker mit dem Tabu Pädophilie auseinanderzusetzen. Es sollte Pädophilen ermöglicht werden, einen offeneren Umgang mit ihrer Neigung zu erreichen, gerade auch, um potenziell gefährdete Kinder zu schützen – und ebenso, um präventiv Maßnahmen zu ergreifen, Menschen mit dieser Neigung nicht in Situationen zu bringen, die sie dazu verleiten könnten, die Kontrolle über sich zu verlieren. Je offener also Pädophile in der Gesellschaft mit dem Thema umgehen können, desto mehr Leid wird wohl – aufseiten potenziell gefährdeter Kinder wie der von dieser Neigung stark Betroffenen – verhindert werden können.

"Jedes Mal eigentlich, wenn ich mich Leuten anvertrauen kann, macht mich das wieder ein Stück leichter. (...) Und deswegen auch hier diese Offenheit, das ist das Positive an der Offenheit. Dass ich weiß, auf der einen Seite gucken die Leute vielleicht ein bisschen genauer hin, was ich mache, und auf der anderen Seite, dass ich weiß, die lieben mich trotzdem oder mögen mich trotzdem. Dass sie mich als Mensch sehen und nicht als das Monster."

Das Feature gewann 2021 den Georg Schreiber Medienpreis.

Feature über einen Pädophilen, der kein Täter werden will

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Kommentare 3
  1. Theresa Bäuerlein
    Theresa Bäuerlein · vor 2 Jahren

    Ich habe mich oft gefragt, wie es ist, wenn man das wahnsinnige Pech hat, eine solche Neigung zu haben. Man muss ja dann seine Sexualität immer unterdrücken, wenn man nicht zum Täter werden will. Insofern ist die chemische Kastration, die Wuth sich zumutet, ein konsequenter Schritt, davor habe ich großen Respekt.

    1. Susanne Franzmeyer
      Susanne Franzmeyer · vor 2 Jahren

      Einen interessanten Aspekt habe ich auch aus einem älteren Feature zum Thema mitgenommen. Da ging es in etwa darum, dass Pädophile nicht selten eine starke Selbstverachtung entwickeln, die durch die allgemeine Verachtung von außen noch genährt wird. Und aus einem solchen Zustand heraus ist es ein viel kleinerer Schritt hin zum Übergriff. Wer sich selbst aufgibt und zutiefst verachtet, dem ist es auch nicht mehr wichtig, Haltung zu wahren und seine Neigung zu kontrollieren. Da muss, denke ich, noch viel in den Köpfen passieren - auf allen Seiten.

    2. Susanne Franzmeyer
      Susanne Franzmeyer · vor 2 Jahren

      @Susanne Franzmeyer Hab es gefunden, aber nicht noch mal durchgehört - war aber gut. Es ist von 2008 von Michael Lissek, Titel "Hölle im Kopf" - auf seiner Website zu hören, wenn man auf das Bild geht: http://www.michaelliss...
      Also eine weitere Empfehlung zum Thema...

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