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Kurator'in für: Medien und Gesellschaft Kopf und Körper Flucht und Einwanderung Fundstücke Feminismen
piqd für euch die Perlen unter den Radio Features. (Bis Ende 2017 für Deutschlandfunk Kultur, inzwischen unabhängig und senderübergreifend).
Lebt und arbeitet als freie Autorin, Regisseurin und Produzentin mit Schwerpunkt künstlerisches Feature in Berlin. Hat alles mögliche an Geisteswissenschaften studiert und ist Absolventin der EBU Master School on Radio Features. Sie veröffentlichte außerdem ein erfolgloses Hip Hop Album, arbeitete sich durch bislang sieben musikalische Stilübungen von Reggae bis Death Metal, und hat trotz aller Widrigkeiten zwei wunderbare Kinder in die Welt gesetzt.
"Alles verschwommen gesehen, alles... nix Wahres... alles wie zerrissen und zerfetzt, alle Unterhaltung war zerfetzt... nix Beständiges... wie so ein Fluss, wie, wenn du es oben reinmachst und unten wieder raus... wie so ein Sieb, alles leer, das ganze Herz, alles leer."
Dies ist wieder einmal eines dieser umwerfenden Beispiele, anhand derer deutlich wird, wie eindrücklich und kunstvoll dokumentarische Inhalte inszeniert und vermittelt werden können! Susann Maria Hempel nahm für ihr Feature "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" Gespräche mit einem ehemaligen politischen Gefangenen eines DDR-Gefängnisses auf, transkribierte den Text und reinszenierte ihn – aber wie!
"Egal wie 88, hab ich immer gesagt, ne. Das Jahr, wo ich rauskam, und das hab ich mir dann gemerkt. Also es bedeutet, wo das mir passiert ist, ist mir alles egal gewesen, ne. Ich mein, ich wollte dann immer... Also '88 war mir alles egal. Ich sag ja, das das Ausschlaggebende war ja dieser Schlag, denn, denn meine Strafe war ja diese... das, was passiert ist drinne. Das andere, das hab ich weggesteckt wie jeder andere. Also es war schon kein Zuckerschlecken, ne, aber das hätt ich weggesteckt. Mein Leben wär weiter gegangen. Aber weil dieser Scheiß passiert ist, das hat ja das das alles so fürchterlich gemacht. (...) Also wenn der Zustand so bleibt, das halt ich nicht aus. Oder halte ich's aus? Vielleicht halte ich's ja aus? Vielleicht gewöhnt man sich dran..."
Sie spricht, stammelt, singt den Text in einer Ein-Frau-Inszenierung originalgetreu nach – inklusive ihrer eigenen und weiterer Gesprächsanteile – ergänzt Passagen mit alten Liedern, die sie in polyphone Gesänge umwandelt, untersetzt die Texte mit rhythmisierten Geräuschen und Klängen.
"Mein Herz ist im Hochland, mein Herz ist nicht hier.
Mein Herz ist im Hochland, im Waldesrevier.
Dort jagt es den Hirsch und verfolget das Reh.
Mein Herz ist im Hochland, wohin ich auch geh."
Die Reinszenierung des Inhalts nimmt dem Text nichts an Wirkung, im Gegenteil, es ist ein gelungenes Stilmittel, diesem ein Höchstmaß an Intensität und Spannung zu entlocken, die einerseits in der teils merkwürdigen und sprunghaften Erzählweise, aber auch der künstlerischen Form der Inszenierung zu verdanken ist.
Der Inhalt offenbart sich dabei meistens eher zwischen den Zeilen. So wird deutlich, wie sich die Folgen der Haft beispielsweise in Alltagssituationen zeigen, wie in der (ungewollten) Anmietung einer Wohnung, einer Situation, aus der der ehemalige Häftling offenbar nicht herausgefunden hat. Auch entsteht im Gespräch mit einem Vertrauten eine erschütternde Asymmetrie, in der der frühere Gefangene stark bevormundet wird, er solle die Leute nicht mit seinen Haftgeschichten langweilen, was die Autorin und Komponistin mit einem feinen Gespür auch für die Zwischentöne auf der Gesprächsebene beeindruckend herausarbeitet.
"Normalerweise hab ich mit dem Umzug nen Fehler gemacht. Das ist meine Schuld. Ich... ich... ich war dumm gewesen, ich ich ich hab das einfach über mich ergehen lassen, weißte. Überleg doch mal. Ich hab ja über mich verfügen lassen, wie... wenn ich vorm Kadi stehe, wie wenn ich keinen Betreuer hätte, sondern nen Bewährungshelfer, wie, wenn ich irgend ne Strafe...so doof war ich, ne. Ich hab überall 'Ja' gesagt. Normalerweise konnte ich gar nicht und wollte gar nicht. Du weißt ja das alles, ne."
Wenn er sich verändern wolle, dann müsse er sich ändern, nicht immer nur quatschen. So die gute Empfehlung von "Erich." Auch scheinbar Banales findet Einzug in die Inszenierung. Scheinbar ungefiltert wird der gesamte Gesprächsinhalt inszeniert.
"Das kam zum Thomas immer, das ist das Rotkehlchen, und diesmal kommt's zu dir, Susann."
Aber gerade in dieser ungefilterten Wiedergabe zeigen sich vielleicht die Spätfolgen der Haft am deutlichsten. Es ist auch ein bisschen Rätselraten dabei. Was ist genau passiert? Was ist mit diesem Thomas? Die Geschichte entfaltet sich langsam, erreicht die Hörerschaft in Bruchstücken, in einer Art Zustand der Verwirrung, die direkte Einblicke in das Seelenleben des Betroffenen gewährt.
"Und wenn ich... und wenn ich krank... wenn ich jetze wirklich schwer krank wäre, Susann, dann dann dann würde ich noch ein Stück schaffen, aber im Wald auch sterben wollen, und wenn ich dich mitnehmen würde... wenn du mit... dann würde ich dich mitnehmen, Susann. Wenn was sein sollte, ne, das war immer mein Wunsch, zu liegen und einzuschlafen."
Und dann spricht er darüber. Über die Foltererfahrungen, die ihn geradezu in den Wahnsinn getrieben haben müssen.
"Mir haben se auch mal Schnürsenkel hin übers Bett geschmissen und haben gesagt: Du weißt, was du zu tun hast."
Ein Albtraum von reeller Erfahrung entfaltet sich, psychische Folter, brutalste körperliche Folter, beides ineinandergreifend, die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit scheinen in der Erzählung des Folteropfers verwässert.
"Hast du schon mal was von Dämonen gehört? Wenn wenn... wenn ich Pech gehabt hab, dann... dann... dann nehme ich an, dass von denen was raus ist und in mich rein ist. Ich wusste, dass es was Dunkles ist. Ich war ein Wesen, was von was besetzt war. Nicht besessen, Gottseidank nicht, (...) also wenn ich nicht mehr hätte widerstehen können, Gottseidank nicht, Susann - besetzt. Und mein ganzes Kämpfen da drinne war darauf aus, dass ich diese scheiß Kraft, sage ich mal, wieder loskrieg, ich wollte das ja gar nicht sein. Was... was mich... was da in... was da mir an... äh... eingedrückt worden ist, sage ich mal... reingesetzt. Und dann habe ich gesagt: So kann ich nicht leben. (...) Wenn es mich vielleicht so beeinflusst, dass ich vielleicht noch böse wär, das will ich nicht, da will ich lieber... da muss ich Schluss machen, weil ich.... will nicht... Wenn ich schon enden will, dann will ich gut enden. Plötzlich kam was ganz Finsteres in mir und ich weiß noch, wie mir ne Stimme gesagt hat: Lass es doch einfach sein, wende dich... - ich sollte mich denen zuwenden - denen, die gefoltert haben (...) Niemals! Habe ich gesagt, eher verrecke ich..."
Dies ist mehr als ein Erfahrungsbericht. Es ist ein bewegender Seelentrip, auf den die Hörerschaft mitgenommen wird, der nicht eindrücklicher hätte umgesetzt werden können. Wer allerdings mehr Hintergrundwissen erwartet, der wird in diesem Feature nicht fündig und sollte gezielt nach anderen Dokus zum Thema recherchieren. Das würde in dieses Feature auch nicht reinpassen.
Quelle: Susann Maria Hempel Bild: Unsplash / Umanoide www.swr.de
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P.S. Ergänzende Informationen (für den Text oben offenbar zu lang, daher hier):
Das Feature, das in seiner Form auch als Hörspiel durchgeht, ist eine Koproduktion von RB/RBB aus dem Jahr 2018. Es wurde 2018 zum „Hörspiel des Jahres“ gewählt und 2019 mit dem 68. Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Erst kürzlich hat es der SWR wiederholt.
Hörspielkritiker Jochen Meißner definiert die Produktion übrigens eindeutig als Hörspiel. Was es auch ist, es ist grandios. Hier Jochen Meißner Kritik zur Produktion: https://hoerspielkriti...