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Literatur

FAMILIENZENSUR

Quelle: PR

FAMILIENZENSUR

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLMontag, 28.12.2020

Sobald Autorinnen die Geschichte ihrer Familie in literarischen Texten erzählen wollen, stellen sich Fragen: Wie ist es möglich, einzelne Mitglieder darzustellen und dabei auch ihre nicht so angenehmen Seiten zu beschreiben? Wie geht man nach einer Veröffentlichung mit deren ungehaltenen Reaktionen um? Kann man verständlich machen, dass die Überführung ihrer Verhältnisse in Literatur stets als Fiktion einzuschätzen ist? Zuweilen wird es daher erst möglich, über Vorfahren zu schreiben, wenn diese nicht mehr am Leben sind. Aber auch dann kann es noch kompliziert werden.

Kürzlich wollte ich Jana Revedins Buch über eine Vertreterin der besseren venezianischen Gesellschaft lesen. Die Autorin ist mit einem Verwandten der titelgebenden Margherita verheiratet und hat damit persönliche Nähe zum Stoff. Am Klappentext werden interessante Einblicke in die Familiengeschichte versprochen, prominente Namen genannt. Margherita soll unter anderem mit Peggy Guggenheim befreundet gewesen sein, Picasso getroffen haben, und so fort. Dann aber ist während der Lektüre nicht viel Neues zu erfahren. Beschreibungen von Garderobe und Drinks werden gekreuzt mit lauen Anekdoten. Dass die Kunstsammlerin viele (Ehe-)Männer hatte und gerne Alkohol trank, wusste man auch vorher. Sogar die Schilderungen der venezianischen Upper-class klingen eher nach Wikipedia als nach gelebtem Alltag. Anscheinend kam es bei der Aufzeichnung des Lebens der Contessa zu familiärer Zensur, denn ansonsten ist die Eindimensionalität dieser Darstellung kaum zu erklären. Seltsam auch, dass vor allem die Jahre des Faschismus und der nationalsozialistischen Besetzung während des Zweiten Weltkriegs kaum Erwähnung finden. Dabei war gerade der Protest dagegen ein entscheidendes Kapitel Venedigs.

Über Guggenheim, ihren Kreis und die Geschichte ihres Wohnsitzes im Palazzo Venier, wo auch dieser Tage ihre berühmte Kunstsammlung präsentiert wird, gibt es in einem anderen Buch weitaus Interessanteres zu erfahren. Judith Mackrell erzählt in „Der unvollendete Palazzo“ von drei außergewöhnlichen Frauen, welche das Gebäude am Canal Grande ab Anfang des 20. Jahrhunderts bewohnten und entwirft das Stimmungsbild einer Zeit, als Dichter in Gondeln mit Geparden zu Abendgesellschaften fuhren und dort überschwängliche Partys gefeiert wurden.

Genauso wie Revedins Roman enttäuschte mich die gerade auf Netflix erschienene Serie „Selena“. Als ich vor Jahren in Chicago in einem von mexikanischen Einwanderern geprägten Viertel wohnte, begann ich mich mit Ausformungen dieser Kultur zu beschäftigen, nicht zuletzt, weil die sentimentalen Lieder aus Superlautsprechern von der Straße in unsere Wohnung heraufdröhnten. Die junge Sängerin Selena war zu diesem Zeitpunkt bereits tot, erschossen durch die Leiterin ihres Fan-Clubs. Eine erste Verfilmung mit Jennifer Lopez in der Hauptrolle versuchte die Geschichte von Mexikanern in den USA noch als eine von Diskriminierung und schließlich Selbstermächtigung bestimmt zu zeigen. Nicht dass der Film hervorragend gewesen wäre, aber man konnte immerhin einiges über hybride Identitäten und Borderculture erfahren. Und das erste Mal war es auch gelungen, mit hispanischer Besetzung und Regie zu arbeiten, wenn auch die mexikanische Community nicht einverstanden war, dass eine Person puertorikanischer Herkunft die Tejano-Ikone darstellte. Die Initiative zum Film war damals vom Vater Selenas ausgegangen, der so seine eigene Wahrheit über den Star gegen Gerüchte und Verzerrungen der Regenbogenpresse durchsetzen wollte.

Nun also die Serie. Selena ist darin als oberflächlicher Teenager zu beobachten, dem Papi beibringen muss, dass ständiges Haarefärben nicht gut fürs Image ist und der sich zwischen Konzerttourneen stets brav zum Familienessen einfindet. Nur wenn die ununterbrochen lächelnde Selena mal eine Fritte vom Teller ihres Bruders stiehlt, gibt es Streit. Mutti näht glitzernde Kostüme, Papi handelt Verträge aus. Bruder spielt, ebenfalls lächelnd Gitarre, Schwester hält lächelnd während der Konzerte Augenkontakt mit lächelnder Sängerin, während sie am Schlagzeug den Takt vorgibt. Nichts ist davon zu erfahren, dass sich Erfolg erst einstellte, als die Band von englischsprachigen Songs auf Tejano-Texte und Rhythmen umstellte, nichts wird über die Kultur dieser Minderheit erklärt, einer besonderen Mischung, die mit Spanglish sogar ein eigenes Idiom hervorbrachte, in dem amerikanische Ausdrücke einer spanischen Grammatik unterworfen werden und so weiter und so weiter. Grund dafür ist wohl ebenfalls Familienzensur. Im Nachspann ist nämlich der Name von Selenas Schwester Suzette Quintanilla zu lesen. Unter ihrer Aufsicht wurde anscheinend jegliche unsympathische oder unharmonische d. h. lebendige Seite dieser Geschichte gelöscht, um eine öde, wenn nicht sogar blöde Heiligenlegende zu stricken. Dabei hätte es viel politisch Brisantes zur Situation der Latinos in den USA zu sagen gegeben, Grenzzaun, Dreamer-Bewegung, Rassismus, eine Tendenz, trotzdem für die Republikaner zu stimmen, um endlich dazuzugehören etc. Stattdessen Langweile pur. Qué pena!

JANA REVEDIN: MARGHARITA. Aufbau-Verlag, Berlin 2020

JUDITH MACKRELL: Der unvollendete Palazzo. Insel-Verlag, Berlin 2019

SELENA: Film 1997 und Serie auf Netflix 2020

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