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Kurator'in für: Zeit und Geschichte Fundstücke
Michaela Müller, in Dachau geboren, studierte Politikwissenschaften, Zeitgeschichte und Geschichte Asiens in Berlin. Sie schreibt über Menschenrechte, Migration und Ostafrika. Aufenthalte in Kenia, New York, Paris, Somalia und Somaliland. Bücher/Essays: Vor Lampedusa (2015), Auf See. Die Geschichte von Ayan und Samir (2016). Für piqd wählt sie Texte über die Geschichte des Holocaust, Arbeitergeschichte, Migration und Mentalitätsgeschichte aus.
Ein Vater überlässt seinem Sohn die Kriegstagebücher. So ging es dem Filmemacher Christoph Boekel im Jahr 1984. Ein Gesprächsangebot?
Anhand der Aufzeichnungen seines Vaters macht er sich auf eine Spurensuche. Er beschreibt den Weg der Einheit in heute ukrainische Dörfer und Städte, begreift, wie der Vater gemordet und gebrandschatzt hat. Überall treffen sie auf Zeitzeug:innen, die meisten von ihnen Frauen. Sie erinnern sich an alles.
Der Film entstand 1986, noch vor der Wehrmachtsausstellung, die die Verbrechen der Wehrmacht einem breiten Publikum zugänglich machten.
In einem Dorf findet der Sohn die Stelle, wo das Geschütz des Vaters stand. Vor dem Friedhof versammeln sich die Frauen und berichten, wie sie die Toten zusammengetragen und begraben hatten: „Sie lagen da wie die Garben auf dem Feld.“ Nicht alle konnten sie begraben: „Wo ein Gefallener gelegen hatte, sah man an der Erde. Die Erde war fett und das Gras hoch.“
Die Aufzeichnungen seines Vaters und die Gespräche, die er daraufhin mit ihm führt, legen den Blick auf eine ganz andere Wahrnehmung frei. Sein Vater, ein Intellektueller, Jahrgang 1914, hatte Philosophie bei Martin Heidegger und Zeitungswissenschaft studiert, war fast den ganzen Zweiten Weltkrieg im Einsatz. Als sein Vater das von der Wehrmacht zerstörte Tschernihiw begutachtet, bemerkt er lediglich, dass Gebäuden das Stilgefühl gefehlt habe und denkt über Corbusier nach. Am 23. August 1941 hatten Brandbomben 70 % der Stadt zerstört. 128.000 Menschen starben bei der Besetzung – Zahlen, die die Vorstellungskraft übersteigen.
Ebenfalls im August werfen russische Bomber Flugblätter über ihrer Einheit ab. Sein Vater notiert den Text: „Deutscher Soldat! Die Offiziere haben Dir versichert, dass der russische Feldzug in drei bis vier Wochen beendet sein wird. In Wirklichkeit wird der Krieg mit der Vernichtung Hitlers und seiner blutigen Bande beendet werden.“ Sein Vater schießt ein Foto, wie sich seine Kameraden über den Text lustig machen.
Selbstgewiss und einer schwülstig-elaborierten Sprache schreibt der Vater vom Krieg, von der Überlegenheit der Deutschen – er war unbedingt von seinem Tun überzeugt. Je länger der Film dauert, umso klarer wird: Die Einsicht in die Sinnlosigkeit des Krieges, wäre ohne eine Niederlage nie gekommen.
Und wenn man seinen Sohn und die Übersetzerin mit die Zeitzeug:innen sprechen hört, wundert man sich über die manchmal unglaubliche Fähigkeit des Menschen, verzeihen zu können.
Quelle: Christoph Boekel Bild: Walter Boekel www.3sat.de
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Und hier die Fortsetzung:
Boekels Vater schreibt, dass die Deutschen in der Ukraine, genauso wie in Polen, die "Pioniere Europas" seien: Nur sie könnten durch eine organisierte Landwirtschaft den Boden fruchtbar machen und reiche Ernten erbringen. Timothy Snyder erwähnte 2017, bei seiner Rede vor der grünen Bundestagsfraktion, die Obsession der Nazis mit dem Pionierbegriff der USA. Das ist heute gar nicht mehr präsent, aber es wäre sicher ein spannendes Forschungsvorhaben. Dieser Logik folgend war Osteuropa quasi ein "Territorium" ohne Staatlichkeit und Grenzen, oder, platt gesprochen, "Indianerland".
Und dann schreibt Boekels Vater auch noch über die "Besiedelung" der Ukraine mit deutschen Bauern. Die "Siedler" sollten den Osten Europas im deutschen Sinne kolonialisieren. Bis heute ist dieses Kapitel nicht aufgearbeitet worden. Das liegt nicht nur an den Ewiggestrigen. Auch die identitäre Linke hat ein Problem damit, dass das größte und bei weitem schlimmste Kolonialvorhaben der deutschen Geschichte in Osteuropa stattfinden sollte.
Der Film ist absolut sehenswert, auch wegen solcher Details. Und er wirft Fragen auf: Denn auch die russische Rechtfertigungs-Ideologie des Jahres 2022 zeigt ähnliche Muster auf. Etwa wenn es darum geht, der Ukraine die Staatlichkeit abzusprechen. Oder wenn Ukrainer als "Kleinrussen" dargestellt werden, die nur über einen verhältnismäßig primitiven Lebensstandard verfügten.
Absolut sehenswert!
Auf Facebook fand ich diesen mehrfach geteilten Text von Sebastian Christ, der den Film im Lichte unserer Erfahrungen einordnet ohne nur zu aktualisieren:
Ein sehenswertes Zeitdokument, das plötzlich wieder so viele Assoziationen mit der Gegenwart bietet: der Film "Die Spur des Vaters". Im Jahr 1986 reiste der Dokumentarfilmer Christoph Boekel den Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters aus dem Zweiten Weltkrieg hinterher. Große Teile des Films spielen in der damals noch zur UdSSR gehörenden Ukrainischen SSR.
Boekel recherchiert in den Archiven, fördert Bildmaterial zutage und spricht mit Zeitzeugen, die seinen Vater und dessen Kameraden gesehen haben könnten. Östlich von Schytomyr wird das erste Mal die Entmenschlichung deutlich, die auf diesem Feldzug Alltag war. Eine Frau erzählt, wie sie von deutschen Soldaten gezwungen wurde, einer Hinrichtung zuzusehen: Offensichtlich bereits zuvor misshandelten ukrainischen Männern wurden auf LKW-Rampen Schlingen um den Hals gelegt. Die Lastwagen fuhren los und schließlich baumelten die Körper einen Meter fünfzig über dem Boden. Eine andere Frau berichtet, wie ein alter Mann von mehreren Wehrmachtssoldaten bei lebendigem Leibe in ein Feuer geworfen wurde und elendig verbrannte.
Diese unfassbare Brutalität der deutschen Besatzer ist damals noch präsent in den Köpfen. Es ist berührend, die Zeitzeugen noch in dieser Menge im Film sehen zu können. Heute dürften sie fast alle tot sein.
Seit dem 24.2.22 hat der Schrecken ein neues Gesicht bekommen. In der Ukraine wird man künftig vor allem über die Gräueltaten der russischen Besatzer im Jahr 2022 reden, wenn man diese tiefste Form der Entmenschlichung personifizieren will.
Aber bleiben wir ruhig bei den Deutschen des Jahres 1941. Wie ist das alles möglich? Was bringt Soldaten dazu, rücksichtslos zu morden? Natürlich brutalisiert sich der Krieg mit fortlaufender Dauer selbst. Aber es muss eben auch die Bereitschaft vorhanden sein, sich auf diese Brutalisierung einzulassen: Dabei hilft eine ideologische Legende, die Gewalt und Menschenverachtung akzeptabel macht und der Blutrünstigkeit eine gesellschaftlich akzeptierte Rechtfertigung gibt.
Der Film zeigt das anhand der Tagebucheinträge des Vaters, der Philosophie studiert hat und aus seinen Aufzeichnungen ein Buch schreiben wollte. Er klingt dabei immer ein wenig wie ein Fan von Ernst Jünger - Kampf als Lebenssinn, und ähnlicher Stuss. Was Boekel nicht bemerkt - und deswegen wohl auch nicht einordnet - das sind die ganzen Schlüsselbegriffe des antislawischen Rassismus, die immer wieder in den Tagebüchern auftauchen.
Boekels Vater schreibt über die deutschen Soldaten als "Kulturbringer" in den osteuropäischen Ländern, die er zivilisatorisch offenbar als unterlegen empfindet. Heinrich von Treitschke hatte bereits 80 Jahre zuvor ganz ähnliche Begriffe verwendet: Hier waren die Deutschen ein Volk von "Kulturträgern", die deswegen über osteuropäische Völker herrschen dürften, weil diese zur Gründung von Staaten nicht fähig seien. Ähnliches hören wir heute wieder in Deutschland - dann nämlich, wenn davon die Rede ist, dass die Ukraine der "Vorgarten" oder das "Interessengebiet" Russlands sei, über das Putin frei bestimmen könnte. Das ist eine moderne Form der "Kulturträger"-Theorie.