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Literatur

Laufen 13: Laufschuhwerbung

Laufen 13: Laufschuhwerbung

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtDonnerstag, 31.01.2019

Der jährliche Laufschuhkauf, der notwendig ist, weil Laufschuhe heute zwar ca. viermal so teuer sind wie vor 40 Jahren, aber mindestens fünfmal weniger lange halten (eine marketingmäßige Meisterleistung), ist für mich so lästig wie die Steuererklärung, es ist noch schlimmer als beim Laufjackenkaufdenn ob eine Jacke funktioniert hat, kann ich ganz gut einschätzen, bei den Schuhen tappe ich aber im Dunkeln, wenn ich wissen will, ob sie zumindest mitschuldig sind am Hallux valgus, an der Patellasehnenentzündung, dem Fersensporn oder der Entzündung des Hüftbeugermuskels. Der Trend geht sowieso zum Leichtschuh oder sogar zum Barfußlaufen. Obwohl die U.S. Army 2011 interessanterweise Barfußschuhe verboten hat, weil sie "unmilitärisch" aussehen:

"THOSE SHOES THAT FEATURE FIVE SEPARATE, INDIVIDUAL COMPARTMENTS FOR THE TOES, DETRACT FROM A PROFESSIONAL MILITARY IMAGE AND ARE PROHIBITED FOR WEAR WITH THE IPFU OR WHEN CONDUCTING PHYSICAL TRAINING IN MILITARY FORMATION."

Dabei sind die Ninja-Schuhe, mit denen Läufer aus Asien schon in den 20er Jahren gelaufen sind, und die abgeteilte, große Zehen hatten, doch sozusagen Schuhe von Elitesoldaten. Der Koreaner Sohn Kee-chung, der 1936 den olympischen Marathon gewann, aber als Kitei Son antreten mußte, weil sein Land damals von Japan besetzt war, trug sieOnitsuka, heute ASICS, hat sie schon in den 50ern hergestellt und tut es heute noch.

Die einfachste Lösung für mich wäre, einfach immer dasselbe Modell zu kaufen, aber leider wird das nach einem Jahr nicht mehr angeboten. Außerdem soll man seine Schuhmodelle wechseln und sogar möglichst immer zwei Paar Schuhe von zwei verschiedenen Herstellern parallel benutzen. Ich habe keine Ahnung, wofür ich mich diesmal entscheiden soll und nur den leisen Verdacht, daß es eigentlich völlig egal ist. Helfen Verbrauchertips ("Werbung") weiter? Adidas warb 1995, wohl noch in der Euphorie des großen Histotainment-Jahres 1989, mit Emil Zátopek, der als Trainings-Autodidakt wahrscheinlich härter trainiert hat als jeder andere Läufer vor ihm, u.a. Intervalle querfeldein durch den Wald mit Armeestiefeln. 1968 fiel er in Ungnade, weil er das Manifest der 2000 Worte mitunterschrieben hat. (in den 70ern fand er Arbeit beim Prager Sport-Dokumentationszentrum, wo er, weil er sehr sprachgewandt war, die ausländische Presse nach Informationen über neue Trainingsmethoden sichtete.) Die simple Gegenüberstellung von Zátopeks Trainingsschuhen von 1950 (Armeestiefel) und Adidas-Trainingsschuhen von 1995, untermalt von pathetisch-wabernder Filmmusik, wie sie typisch ist für das Finale von Historienschinken, suggeriert, aus welcher dunklen Vergangenheit wir kommen, daß es einen Fortschritt gibt, politisch wie schuhtechnisch, und daß der Gedanke an politische Freiheit untrennbar verbunden ist mit der Teilhabe am Konsum moderner Produkte. Die Ironie der Geschichte ist, daß die Rennschuhe aus Zátopeks Zeit, die noch aussahen wie robuste Ballerinas, möglicherweise sogar gesünder für die Füße waren und daß die Adidas-Schuhe von 1995 15 Jahre später altmodischer aussehen als die Armeestiefel von 1950.

Seitdem hat sich viel getan, bei diesem Clip für Adidas Boost geht es 2015 gar nicht mehr um den ganzen Schuh, sondern nur noch um die energiespeichernde Eigenschaft des Materials der Sohlen (von BASF entwickelt). Noch stärker wird der technoide, labormäßige Entwicklungsprozeß für Adidas EQT hier gefeiert. Die komplexe Anspielungswelt dieses Adidas-EQT-Clips habe ich noch gar nicht durchschaut. Da ich zwar in Berlin aufgewachsen bin, aber außerhalb des Autobahnrings, also doch irgendwie in der Provinz, spricht mich die postapokalyptische Ästhetik an (vor allem diese brutalistische Straßenflucht mit den schönen Treppen). Wie simpel bunt war die Welt dagegen noch 1986 bei Karhu ("Join The Team"). Heute verzichtet Karhu auf Schnickschnack und macht Lust darauf, um 6:00 Uhr morgens in Lahti auf einer einsamen Straße zu laufen.

Geht es mir denn überhaupt um Qualität und Laufeigenschaften der Schuhe, oder habe ich eine fetischhafte Beziehung zu irgendeiner Marke? Bestimmt nicht für Nike, die das Phänomen der Existenz von Sneakerheads, obsessiven Turnschuh-Sammlern, in diesem Spot zum Zoom Vaporfly 4% thematisieren, den Eliud Kipchoge bei seinem Marathon-Weltrekord im September 2018 in Berlin getragen hat. Der Clip nimmt Bezug auf den Kult um Sneakers, den Nike selbst mit den Air Jordan losgetreten hat (u.a. mit diesem Clip von 1985, in dem erzählt wird, daß Nike einen "revolutionary new Basketball-Shoe created" hat, aber "the NBA threw him out of the game". Irgendetwas mit der Farbgebung stimmte nicht. Aber auf der Straße durfte man sie natürlich tragen und sich dadurch cool und felonmäßig fühlen). Wie tief die Beziehung Jugendlicher zu ihren nagelneu aussehenden Air Jordan waren, sieht man hier(Wir freuen uns natürlich über den jungen Giancarlo Esposito aus "Breaking Bad" und "Night on earth" und Richard Edson aus "Stranger than Paradise".)

Im Nike-Spot sitzen im Wartezimmer einer Schuhtherapeutin, die gerade die turnschuhobsessive Shalane Flanagan (2017 Siegerin beim New-York-Marathon) behandelt, andere Besessene, einer trägt seine Schuhe liebevoll in einer Babytrage spazieren, eine hat sie sich mit Handschellen ans Handgelenk gekettet, einer putzt sie mit einer elektrischen Zahnbürste und einer wickelt Bläschenfolie um seine Schuhe, damit sie nicht schmutzig werden. Flanagan sagt über ihre "4%": "Sometimes I'm scared, I'm slowing them down."

Mehr aufs kollektive Unterbewußte zielt Brooks mit diesem Clip in dem die Szenerie von "The Walking Dead" zitiert wird. Zombies, die es ja schon immer in Kaufhäuser gezogen hat, entdecken ein Schuhgeschäft und probieren Brooks-Laufschuhe an. Irgendwo habe ich gelesen, daß Epochen sich darin unterscheiden, ob die Menschen gerade mehr Angst vor Vampiren oder vor Zombies haben, was immer wechsele. Vampir-Angst paßt mehr zum Kalten Krieg, die Angst der Westler vor den Ostlern (Rumänien!), die nichts Produktives leisten, sondern der freien Welt das Blut aussaugen, alles kopieren und vielleicht schon Ableger gebildet haben, die unter uns hausen. Zombie-Angst ist natürlich die Angst vor einer Invasion von Flüchtlingen, die keine Individuen mehr sind, sondern durch ihre schiere Masse unbesiegbar. Der Clip nimmt dem Zuschauer diese Ängste, denn die Zombies werden durch die Begegnung mit der überlegenen Schuh-Technologie von ihrer monomanischen Fixierung auf Menschenfleisch abgelenkt und durch die Freude an unserer modernen Produktwelt sozialisiert, da sie mit den Brooks plötzlich joggen können, gar nicht mehr anhalten wollen, die entspannende Wirkung des Laufens erleben und sogar links und rechts grüßen wie Läufer. Es stellt sich heraus, daß Zombies eigentlich auch nur Menschen sind ("Running makes you feel alive"). Wir normalen Menschen wollen ja niemandem etwas Böses, sondern nur in Ruhe konsumieren und das Leben genießen. Wer diese Werte teilt, vor dem brauchen wir uns nicht zu fürchten.

Ohne jeden Humor geht Under Armour vor ("The brand that reinvented the T-Shirt"), die nicht nur mit ihrem Namen eine gewisse Affinität zur militärischen Sphäre pflegen. In diesem Clip wird ein Angstgefühl heraufbeschworen, irgendein Wesen ist im Anmarsch, Schritte sind zu hören. Gut, daß die Personen im Clip sich auf alle mögliche Art sportlich auf die Konfrontation vorbereiten, denn: "So the question is, do you hear footsteps, or are they hearing yours?" Es geht heutzutage gar nicht mehr um Fitness für den sportlichen Wettkampf, sondern für den Überlebenskampf oder das Training für irgendeine finale Konfrontation. Wir sind alle Soldaten: "I will protect this house". So eine Rhetorik wirkt allerdings auf Russisch noch besser, wie in diesem Clip von Reebok, in dem sich alles vermischt, Sport, Rettungseinsätze und spontane Klimmzüge in der Arbeitspause. Immerhin sind (wie auch bei den meisten anderen, neueren Clips) Frauen immer gleichberechtigt zu sehen. Da sie ja auch als Konsumenten interessant sind, muß man sie vom Sport nicht mehr ausschließen, das hat der Kapitalismus geschafft. Es kann sogar mal eine Prothese zu sehen sein, wie hier bei ASICS (Minute 0:41.)

Gegen so viel Fitness-Pathos hilft nur europäisches Stilbewußtsein für Le Coq Sportifvielleicht sogar verbunden mit einem Schritt in die 80er JahreOder man guckt wie bei Hoka One One ein Marshmellow joggt, der so weich ist wie die Schuhe. Oder man erholt sich bei der guten, alten sexistischen Werbung für den "Reebok EasyTone" von 2009, der durch sein Abrollverhalten angeblich bei jedem Schritt Po und Beine trainiert "Better legs and a better butt with every step"

Das große Thema "Mensch und Tier" bildet ein eigenes Kapitel der Sportschuhwerbung. Fila zeigt 1995 eine Gottesanbeterin, die ihren Geschlechtspartner verschlingen will, der ihr aber mit "Fila Mantis"-Schuhen entkommt. Bei Adidas laufen Schuhe ohne Träger durch die Gegend, am Ende sitzen Schnecken drinUmgekehrt wird ein Schuh draus, in Wirklichkeit beneiden wir die Tiere um ihre Moves, auch wenn Salomon so tut, als könnten wir mithaltenASICS thematisiert die Fluchtstrategie, zwar nicht schneller zu rennen als der Angreifer, aber schneller als das langsamste Opfer. Wesentlich origineller scheint mir dieser Gepard-Clip von Skechers, der die Rhetorik der Tierfilme aufnimmt und die alte Zuschauerphantasie Wirklichkeit werden läßt, das Opfer, das zur besten Sendezeit sein Leben lassen soll, vor seinem Freßfeind zu retten, indem man es schnell warnt (warum macht der Kameramann das nicht?) Mensch und Antilope zwinkern sich zu, nachdem der Mensch dank seiner Laufschuhe den Gepard fangen und ihm die Beine mit seinem eigenen Schwanz verknoten konnte. Ein bißchen schließt sich hier der Kreis, da die Menschen nach neueren Erkenntnissen, nachdem sie die Sicherheit der Bäume verlassen haben und darauf gesetzt haben, auf zwei Beinen unterwegs zu sein, lange bevor sie Waffen benutzten, Antilopen und anderes Wild durch Hetzjagden gejagt haben sollen, also indem sie ihnen so lange im steady-state-Tempo hinterherrannten, bis die Antilope einen Herzinfarkt bekam, oder sie so erschöpft war, daß der Jäger sie mit einer Hand sanft ersticken konnte. Eine Maus und ein Blauwal sind schneller als Usain Bolt, aber kein Säugetier ist dem Menschen überlegen, wenn es um Ausdauerleistungen geht.

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Kommentare 6
  1. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor fast 6 Jahre

    Kennst du den Film schon? Keine direkte Laufwerbung, ist ein Studienprojekt: https://www.youtube.co...

    1. Jochen Schmidt
      Jochen Schmidt · vor fast 6 Jahre

      Super Film!

  2. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor fast 6 Jahre

    piq großartig, Linksammlung zu den Werbeclips ebenso großartig! Immer wieder eine Goldfundgrube, deine piqs.

    1. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor fast 6 Jahre

      Keine Laufschuhwerbung aber großartig gemacht: https://www.youtube.co...

    2. Jochen Schmidt
      Jochen Schmidt · vor fast 6 Jahre

      @Maximilian Rosch Stimmt, ist ziemlich gut, mit realistischen Details, wie Fallschirmschwimmen, Schröpfen und Kotzen am Beckenrand (!), und einem schönen Gefühl von Trainingseinsamkeit.

    3. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor fast 6 Jahre

      @Jochen Schmidt Ja echt, immer wieder gut.

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