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Annika Reich, * 1973, lebt in Berlin und schreibt Romane und Essays. Sie ist Kolumnistin von ZEIT-Online (10 nach 8) und Gastdozentin an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihre Romane erscheinen im C. Hanser Verlag. Zuletzt: "Die Nächte auf ihrer Seite" (2015). Sie ist eine der Initiatorinnen von "Wir machen das". www.wirmachendas.jetzt
Annett Gröschner hat hier im Literatenfunk gerade mit „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss das Buch der Stunde empfohlen. Ich möchte daraus eine Serie machen. Die Frage, die uns beide und viele andere auch umtreibt, ist: Was sollen wir jetzt lesen, im Angesicht des katastrophalen Erstarkens von rassistischen, sexistischen und islamophoben Kräften in Europa und den USA? Welche Texte helfen uns, nicht in Depressionen zu verfallen, sondern ganz im Gegenteil aktiv zu werden?
Ich will jetzt noch genauer verstehen, warum der Rassismus in der westlichen Welt so tief verwurzelt ist und was davon in mir selbst wirkt. Ich habe mir also einen Stapel Bücher zu diesem Thema bestellt und werde mich nun in den Einsichten der Autor*innen üben wie in einer Kampfsportart. Offene Herzen reichen nicht mehr aus, wir müssen uns rüsten.
Begonnen habe ich mit Achille Mbembes „Kritik der schwarzen Vernunft“. (Das Original ist 2013 in Frankreich erschienen, auf Deutsch erschien es 2014 im Suhrkamp Verlag.) Und ich kann sagen: es hilft. Ein paar Etagen meines Denkens und Selbstverständnisses als weiße Europäerin sind dadurch sichtbarer geworden.
Mbembe ist ein kamerunischer Historiker und politischer Philosoph, einer der Ikonen des Postkolonialismus. Dass der Rassismus und die Blindheit für die eigenen Verbrechen, die das koloniale Denken mitgeprägt haben, längst nicht vergangen sind, sondern in kapitalistischen Denkstrukturen und Handlungen der europäischen und US-amerikanischen Politik auf unterschiedliche Weisen fortleben, wird gerade in einem erschreckenden Ausmaß deutlich.
Schwarze Vernunft ist ein mehrdeutiger und polemischer Ausdruck, den Mbembe im Laufe des Buches auffächert. Rasse (oder Rassismus) werden parallel dazu in so vielen historischen und gegenwärtigen Spielarten enthüllt, dass ich nach der Lektüre einiges, was mich in den letzten Monaten fassungslos gemacht hat, besser einordnen kann.
Der Hass, der fliehenden Menschen beispielsweise an so vielen Orten entgegenschlägt. Mbembe schreibt: „Rasse ist das, was sich seiner selbst versichert, in dem es hasst, Schrecken verbreitet, mordet, das heißt, den Anderen nicht als Seinesgleichen, sondern als ein bedrohliches Objekt konstituiert, vor dem man sich schützen, das man loswerden ... muss. “
Auch dass wir es jetzt mehr und mehr mit Politiker*innen zu tun haben, die fabulieren statt sich an nachprüfbare Tatsachen zu halten, hat eine Tradition in der europäischen, rassistisch grundierten Autofiktion, wie Mbembe das europäische Selbstverständnis nennt: „Indem er (der europäische Diskurs) vielfach erfundene Tatsachen als real, sicher und exakt darstellt, umging er die Sache, die er zu erfassen vorgab (ferne, andere Welten), und nahm selbst dann ein zutiefst von Phantasien geprägtes Verhältnis zu ihr ein, wenn er den Anspruch auf eine objektive Darstellung erhob.“
Angst, Hass und Fiktion – das alles lässt sich aus der Geschichte Europas herleiten, die in seiner Selbstdarstellung Humanismus, Freiheitsliebe, Brüderlichkeit und Vernunftbegabung in den Vordergrund rückt.
Wenn Mbembe schreibt, dass die europäische Logik der Autofiktion so funktioniere, dass hier „Identität nicht im Sinne gemeinsamer Zugehörigkeit zu ein und derselben Welt verstanden wird, sondern im Sinne eines selbstbezüglichen Verhältnisses“, dann wundere ich mich nicht mehr über die Festung Europa, die sich abschließt und es gleichzeitig schafft, an seinen Humanismus und seine Menschlichkeit zu glauben. Ich wundere mich dann mehr über meine eigene Fassungslosigkeit darüber.
Europa (und Amerika) betreiben ihre rassistischen Diskriminierungen heute nicht mehr über biologische Erklärungsmuster, sondern über kulturelle und religiöse, was in der gewaltigen Islamophobie der Gegenwart gipfelt. Mbembe erzählt von den „verbissenen kolonialen Bemühungen, zu teilen, zu klassifizieren, zu hierarchisieren und zu differenzieren“, und ich muss an die Diskussionen hierzulande über die guten und die schlechten „Flüchtlinge“, an die Klassifizierungen in „Wirtschaftsflüchtlinge“ und die Anderen, an die Hierarchisierung von sicheren und unsicheren Herkunftsstaaten denken. Und an all die Sortierungen, die Trump in seinen Reden vorgenommen hat.
Die Frage, die das Buch stellt und die auch ich mir in diesen Tagen stelle, lautet: „Wie können wir Differenz und Leben, Gleiches und Ungleiches, Überschießendes und Gemeinsames denken?“ Wie kann man eine universelle Gemeinschaft mitgestalten, die sich um das Offene sorgt?
Indem Mbembe erklärt, auf welchen Denkmustern meine europäische Autofiktion beruht, legt er einen Grundstein dafür, dass ich die Denkmuster nicht unbewusst wiederhole, die uns zu diesem katastrophalen Triumph der „white rage“ geführt hat. Nun müssen wir uns aus diesem Tiefpunkt wieder herauskämpfen in Richtung einer „vor uns liegenden Welt, deren Bestimmung universell ist; einer Welt, die befreit ist von der Last der Rasse und des Ressentiments und des Wunsches nach Rache, die jeder Rassismus auslöst.“
Mit diesem utopisch klingenden, aber doch nicht zu unterbietenden Wunsch schließt Mbembe sein Buch und ich meine Lektüreempfehlung für ein weiteres „Buch der Stunde“ nach Peter Weiss. Es wird nicht das letzte bleiben.
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Ganz feiner piq, wollte ich schon länger lesen und irgendwie ist es mir wieder aus dem Kopf gefallen. Jetzt dann aber. Danke dir dafür.
LG
Nils