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Anne Hahn, in Magdeburg geboren, lebt seit 1990 in Berlin. Studium der Kunstgeschichte/Geschichte in Berlin und Florenz. Seit 1999 Porträts, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Medien. Buchveröffentlichungen u.a.: "Satan, kannst du mir nochmal verzeihn - Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest" (mit Frank Willmann) Ventil Verlag 2008, "Pogo im Bratwurstland: Punk in Thüringen" LzfpB, 2009, „DreiTagebuch“ Roman, „Gegenüber von China“ Roman, beide Ventil Verlag, 2014, "Das Herz des Aals", Roman, Ventil Verlag 2017, "Mitten drin - Fußballfans in Deutschland" BfpB, 2018, "Vereint im Stolz - Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum", BfpB 2021
„Und Pamm, da hatten die Amis mir den Finger abgeschossen.“
Wie viele Varianten muss eine Geschichte haben, dass die richtige Antwort unter ihnen versteckt bleibt? Als ich „Ein mögliches Leben“ von Hannes Köhler vor einigen Wochen zu lesen begann, war es dieses Motiv, welches zuerst bei mir anklopfte. „Und zum Beweis hatte er immer die Hand emporgereckt, mit dem Stummel gewackelt und gelacht…“ Ich ließ das Buch sinken, sah meinen Opa seinen Fingerstummel schwenken und auf den himmelblauen Trabbi vor seinem Bauch zeigen. Meine Augen in Höhe Oberkante Fahrertür, die angeblich diesen Finger gekürzt hatte. Wie lange habe ich nicht an meinen Großvater und seinen fehlenden Finger gedacht? An all diese Männer, die in meiner Kindheit durch Magdeburg humpelten, deren Ärmel lose flatterten oder an die Anzugjacken geheftet waren…
Martin, der Enkel im frisch erschienenen Roman, weiß nicht, was er glauben soll. „Ach der Finger, hatte seine Mutter gesagt, da hab ich so viele Varianten gehört, ein Feuergefecht in Frankreich, ein Arbeitsunfall im Lager…“ Sie sind schon durch das halbe riesige Land gereist, um das Lager zu besuchen, in welches Franz als amerikanischer Kriegsgefangener einst interniert worden war. Sie fahren mit dem Mietwagen von Austin nach irgendwo in die Wüste.
„Der Finger, Opa“, sagte Martin. Der Alte hielt den Ring hoch.
„Der hier?“
„Ja, der.“
„Wie hast du den verloren?“
„Den hat mir einer abgebissen“, sagte der Alte.
Martin lachte und schüttelte den Kopf. Als er wieder zum Alten schaute, hatte der den Kopf schief gelegt und betrachtete ihn interessiert, vielleicht auch ein wenig verwundert.
Der Roman erzählt in mehreren Ebenen Ausschnitte aus den Leben des Großvaters Franz, des Enkels Martin und seiner Mutter Barbara, Franzens Tochter. Aufgefädelt an der Reise der beiden Männer in die USA. Den größten Raum nehmen die Beschreibungen der Geschehnisse im Lager ein, in der dritten Person sachlich geschildert. Was mit der Verhaftung des jungen Soldaten am französischen Atlantik beginnt, endet mit seiner Wiederkehr nach Deutschland. Dazwischen liegen 343 Seiten und mehr als ein mögliches Leben.
Sollte man noch einen Roman über den zweiten Weltkrieg lesen? Ich erlebte mit diesem ähnlich starke Momente wie bei zwei anderen Kriegs-Büchern der letzten Jahre, Winnetou August von Theodor Buhl und Im Frühling sterben von Ralf Rothmann. Hannes Köhler gelingt es, Szenen von unheimlicher Intensität zu schaffen. Uns ein Gefangenenlager mit all seinen Nuancen vorzusetzen, das den Alltag, die Ängste spürbar macht - und die Kraft einer Freundschaft. Köhler, 1982 in Hamburg geboren, unternahm nach Verlagsangabe für dieses Buch eine zweimonatige Recherchereise in die USA und führte zahlreiche Zeitzeugengespräche. Mit diesem Instrumentarium schuf er die Freunde: der eine amerikanisch geprägt und zunächst dem Faschismus verfallen, jetzt fanatisch demokratisch und optimistisch, der andere durch Erziehung verblendet und längst desillusioniert. Paul und Franz.
„Nicht einmal der Bruder ist ihm so auf die Nerven gegangen mit dem Lernen und Lesen, der Vater schon gar nicht. Die paar Jahre Unterschied nur zwischen Paul und ihm. Du hast schon einen großen Bruder. Bist nie einer der Schlauköppe in den warmen Stuben gewesen, hast auf Steine gekloppt in der Tiefe, das Gesicht so schwarz wie das von Christmas.“
Monate vergehen, Maloche, Gespräche, Konspiration. Hitze und Spekulationen über den Kriegsverlauf. Paul bleibt die stärkste Figur des Romans, in seinem Leuchten nur von Schwester Wilma, die ihn im Lager besuchen darf, erreicht. Franz, der Bergarbeiter aus dem Ruhrpott, zögert und lernt doch englisch. Bringt sich in die Konflikte im politisch gespaltenen Lager ein und erträumt sich ein amerikanisches Leben, vielleicht an der Seite von Wilma?
Vieles erklärt sich nur uns, den Lesern. Barbara und Martin erfahren Bruchstücke, Artefakte eines Lebens, das anders hätte aussehen können. Wie ihre eigenen, die von Einsamkeit und Fluchtreflex geprägt zu sein scheinen. Wie wäre es gelaufen, wenn Franz damals im Lager eine grausame Nacht nicht verschlafen hätte? Wenn Paul auf ihn gehört und nicht so furchtlos gewesen wäre? Was sehen wir im Rückblick auf unser eigenes Erleben? Es bleiben Fragen offen, vor allem aber bleibt mir das Staunen über eine feine Romankonstruktion und seine starke, schöne Stimme.
Die Wahrheit über das Verschwinden des Fingers von Franz steckt übrigens in einer der oben erwähnten Varianten.
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