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Kurator'in für: Fundstücke Volk und Wirtschaft
Dr. Anja C. Wagner beschäftigt sich mit globaler Transformation im digitalen Wandel. Sie gilt als kreative Trendsetterin und bezeichnet sich selbst als Bildungsquerulantin. Inhaltlich kreist sie um User Experience, Bildungspolitik, Arbeitsorganisation und unserer Zukunft in einer vernetzten Gesellschaft. Mit dem Unternehmen FrolleinFlow GbR bietet sie heute Studien, Vorträge, Consulting und verschiedene Online-Projekte an.
Jetzt habe ich länger überlegt, ob ich genau auf diesen Microsoft-Artikel zur neu gegründeten Coding-Schule 42 Wolfsburg verweisen soll. Ich hätte auch die Pressemitteilung vom September 2020 zur Ankündigung der Schule zum Gegenstand nehmen können, scheinen die Textbausteine doch daraus entlehnt zu sein. Aber mit Bezug zur Aktualität und der Möglichkeit für Lesende, auf der dort angekündigten Konferenz ggf. mehr zu erfahren, nehme ich diesen Artikel hier zum Anlass, über diese wirklich innovative Kooperation von VW, École 42, Google, Microsoft u. a. zu berichten. Und bitte nicht gleich abwinken angesichts dieses Zusammenschlusses des Großkapitals.
Der pädagogische Ansatz der École 42 ist nämlich wirklich bemerkenswert. Hier kann sich jede*r im Alter "zwischen 18 und 80" bewerben – auch ohne irgendeinen formalen Abschluss! Man muss dazu zunächst einen Online-Test absolvieren, der die Fähigkeit zum algorithmischen Denken abprüft, also die Fähigkeit, komplexe Probleme in händelbare kleinere Problemschritte zu unterteilen, um sie nach und nach angehen zu können. Von diesen Tests sind offenbar in den letzten Monaten bereits 3 für Wolfsburg durchgeführt worden – und aus diesem Fundus hat man nunmehr eine Kohorte von 150 Personen sehr divers ausgewählt, die nun ab Mai ins berühmte "piscine" geworfen werden.
In diesem Schwimmbad gilt es jetzt, einen Monat lang ohne Anleitung und pädagogische Betreuung sich mit seinen Mitlernenden gemeinsam den Aufgaben zu stellen, erste Programmiergrundlagen zu erlernen. Es steht ja nahezu alles im Netz – man muss sich also selbst freischwimmen, so die Idee. Über diesen Mechanismus filtern sich dann die Talente heraus, die die Möglichkeit erhalten, bis zu 5 Jahre die Schule zu besuchen und gar einen "Abschluss" zu machen. (Ich weiß gar nicht, ob dies im Original in Paris auch so gehandhabt wird. Ich dachte eigentlich eher, die Absolvierenden definieren sich über ihre absolvierten Projekte, die sie mit den Partner-Unternehmen durchführen ... Anyway.)
Die erste 42er-Schule, die 2013 von einem französischen (umtriebigen) Milliardär in Paris gegründet wurde, verfolgte einen spektakulären Ansatz: Man arbeitet dort projektorientiert mit flexiblem Curriculum – und lässt die Lernenden selbstbestimmt ihren Weg teamorientiert suchen. Zudem ist die Schule komplett kostenfrei und fern der üblichen Klischees, die die Sowieso-Privilegierten weiter privilegiert.
Die 42 Wolfsburg ist eine pädagogische Innovation und zusammen mit ihrer Schwesterschule in Heilbronn eine wertvolle Ergänzung für den Bildungsstandort Deutschland. Digitale Veränderung beschleunigt das Innovationstempo auf allen Ebenen. Unternehmen aller Branchen suchen händeringend nach gut ausgebildeten, intrinsisch motivierten und teamfähigen Software-Entwickler*innen, die digitale Veränderung in Europa vorantreiben. Aber wir haben in Deutschland nicht nur zu wenige Software-Ingenieur*innen, wir haben auch ein Problem mit teilweise starren Bildungsstrukturen und Zugangskriterien zu Bildung, die nicht meritokratisch sind, sondern die Begünstigten begünstigen. Das funktioniert auf Dauer nicht. Damit die Zukunft gelingt, müssen möglichst viele Talente die Chance erhalten, daran mitzuarbeiten.
Angesiedelt ist der Campus der 42 Wolfsburg in dem hochinteressanten Zukunftsort der Markthalle, an dem Stadtverwaltung, VFL, VW etc. kollaborativ zusammenwirken, soweit ich das aus vergangenen Gesprächen mit Beteiligten verstanden habe. Das ist ein wirklich interessantes Konzept, dem man viele kreative und kollaborative Netzwerkeffekte wünschen kann.
VW selbst erhofft sich durch die Zusammenarbeit natürlich mehr engagierte, unternehmerisch denkende IT-Expert*innen, die ihnen helfen, die Zukunft des autonomen Fahrens zu meistern. Ob sich diese Hoffnung "ausgeht", wie man in Österreich sagt, wird die Zukunft zeigen. Die 42er neigen nämlich dazu, bereits frühzeitig eigene Wege zu gehen und sich selbstständig zu machen, sobald sie den Dreh raus haben. Ich bin gespannt, wie man solch eine agile Belegschaft an sich binden kann.
Quelle: Max Senges news.microsoft.com
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