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Kurator'in für: Technologie und Gesellschaft Medien und Gesellschaft Klima und Wandel
Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.
Ein langer Artikel auf SpiegelPlus über die Hetzjagd auf Rainer Winkler, in dem der "Drachenlord" selbst zu Wort kommt und einige Hintergründe des wohl weltweit größten und extremsten Falls von "Cybermobbing" (das Wort trifft in seinem Fall nicht mehr wirklich zu) erklärt.
Ich verfolge den Fall seit Jahren, habe auch mit einigen der Täter gesprochen und hatte Einblicke in den "Betrieb der Hassmaschine" durch Zugang zu den Direktnachrichten eines Mithetzers. Die Verfolgung ihrer Opfer durch die Drachenbubble innerhalb des "Sifftwitter"-Netzwerks ist streng arbeitsteilig: Es gibt Menschen, die nur Videos des Drachenlords sichten und für die Hetz-Community zusammenschneiden, es gibt Illustratoren, die Karikaturen anfertigen und Wortführer. Der Fall sprengt jeden moralischen Maßstab und hier wächst eine Täter-Subkultur im Internet heran, die "for the lulz" einen Menschen buchstäblich zu Tode hetzen möchte. So hatten etwa vor einigen Jahren Philosophie-Studenten in einem Vortrag in Würzburg über den Fall dem Opfer tatsächlich Suizid nahegelegt.
Meines Erachtens ist der Winkler verfolgende Mob ein Zeichen für das, was ich "Psychopathologie des Schwarms" nenne. Das Internet hat alle sozialen Mechanismen verflüssigt, beschleunigt und sichtbarer gemacht, und psychoneurologische Trigger wie Dopamin- und Oxytocin-Shots in einem psychosozialen Baukastensystem demokratisiert: Um einen Dopamin-Shot in den sozialen Medien zu generieren, muss ich nur ein virales Item posten, von dem ich weiß, dass es meine Peers mögen werden und um einen Oxytocin-Shot zu erhalten, muss ich nur einen aus der Gruppe der Anderen öffentlich vorführen. Das Ausgrenzen von Menschen im Netz befeuert das digitale Spiel um soziales Kapital, eine Mischung aus aufmerksamkeitsgesteuerter Hormonwirtschaft und McLuhans Tribal Village.
Die Hetzjagd auf Rainer Winkler ist kollektivistisch organisierter Sadismus: Trolling ermöglicht das Ausleben sadistischer Triebe ohne die moderierenden gesellschaftlichen Mechanismen der Verantwortung, die im Schwarm schlichtweg verpufft. Auch der friedliebendste Mensch kann im Netz aggressive Triebe ausleben, als minimalsadistisches Partikel in einem maximalsadistischen Schwarm. Genauso wie das Netz die moralistischen Fundamente der Kooperation übersteuert und in Phänomenen wie Virtue Signaling und Moral Grandstaning resultiert, übersteuert es amoralistische Fundamente der Ausgrenzung. Rainer Winkler ist das größte Beispiel hierfür.
Übrigens mache ich mir nicht allzu viele Sorgen um Rainer Winkler. Trotz seiner Leiden wirkt er aus der Ferne auf mich als durchaus in seinem Rahmen "stabil" und grade seine trotzige Haltung und seine wehrhafte Einstellung erscheinen mir gesund.
Ich mache mir aber Sorgen um eine ganze Generation eines Netz-Untergrunds, die jahrelang als Täter lebt und die Verantwortung für ihre Taten verleugnen und erfolgreich verdrängen kann. Ich persönlich möchte nicht eines Morgens aufwachen müssen in der Gewissheit, Teil eines faschistoiden Hetzschwarms gewesen zu sein, der einen Einzelnen über Jahre gequält hat.
Tatsächlich finden sich Vertreter der Drachenbubble nicht nur in Telegram-Kanälen und in den Niederungen von Sifftwitter, sondern auch in scheinbar ehrwürdigen Netz-Institutionen, wo sie sich hinter einer gutbürgerlichen Fassade verstecken. Nicht nur Sifftwitter lacht über das kollektiv organisierte Leid von Einzelnen und nicht nur der Drachenlord ist ein Skandal unfassbaren Ausmaßes.
Um das Problem von Tätern im Netz zu bewältigen, die kollektive, psychosoziale Gewalt in bislang unbekanntem Ausmaß anwenden, benötigt es neuartige soziale Mechanismen, digitale Streetworker etwa, und wir müssen offen damit umgehen, dass wir alle psychopathologische Tendenzen aufweisen (die sogenannten Persönlichkeitsmerkmale der Dark Triad), die einen völlig normaler Teil der menschlichen Psyche darstellen. Das Problem der Psychopathologie des Schwarms betrifft nicht nur die "Drachenbubble", sondern uns alle.
Quelle: Sebastian Lock, Max Hoppenstedt, DER SPIEGEL Bild: Der Spiegel Artikel kostenpflichtig www.spiegel.de
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