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"Rohwedder" — eine Doku-Serie über Deutschland

Tino Hanekamp
Autor

Tino Hanekamp war Journalist und Musikjournalist, hat in Hamburg zwei Musikclubs gegründet (Weltbühne, Uebel & Gefährlich), einen Roman geschrieben (‚So was von da‘) und unlängst ein Buch über Nick Cave ('... über Nick Cave'). Er lebt im Süden Mexikos.

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Tino HanekampSonntag, 27.09.2020

Seit Freitag läuft die erste deutsche Netflix-Doku, eine Serie in vier Episoden. Verhandelt wird der bis heute ungeklärte Mord an dem damaligen Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder, der 1991 von Unbekannten erschossen wurde, aber es geht um weit mehr. "Rohwedder" (Trailer) bildet — außergewöhnlich gut gemacht — die Bundesrepublik zur Zeit der Wiedervereinigung ab, mit Interviews, Archivaufnahmen und so genannten Reenactments der Tat, für die sie drei Theorien nahelegt: Rohwedder wurde von der RAF ermordet (die offizielle Version), von Ex-Stasi-Leuten oder von der Bundesregierung, die so die aufgebrachten Ostdeutschen ruhigstellen wollte. Die Frage nach den Tätern bleibt offen, steht aber auch nicht im Vordergrund. "Rohwedder" zeichnet vor allem ein packendes Panorama dieser Zeit und zielt damit automatisch auch ins Jetzt.

SPIEGEL ONLINE schreibt in einer euphorischen Rezension:

In mitreißenden Schnitt-Collagen machen die Regisseure sichtbar, wie bei vielen Bürgern der damaligen DDR die Hoffnung auf gerechtere Verhältnisse jäh in die Erkenntnis mündete, dass in ihrem Leben kein Stein auf dem anderen bleiben würde. Wie die mutigen Demonstrationen für Freiheit sich zu Versammlungen gegen Massenarbeitslosigkeit wandelten. Und wie sich bei vielen Ostdeutschen das Gefühl breit machte, über den Tisch gezogen worden zu sein.

Auch ZEIT ONLINE (hier gepiqt) lobt die Serie in höchsten Tönen:

Historische Vorgänge werden in Rohwedder aus vielen Perspektiven angeschaut. So wird am Tag der Vereinigung 1990 von der nationalen Seligkeit mit einem fast ausschließlich westdeutschem Cast auf der Ehrentribüne weiter zum Alexanderplatz geschaltet. Dort fand eine Demonstration unter dem Motto "Deutschland, halt's Maul" statt, bei der die West-Berliner Polizei zum ersten Mal im Osten "die Sau rauslassen konnte", wie es der Lokalpolitiker Freke Over formuliert. Was unmittelbar anschlussfähig ist an Fragen, mit denen wir uns aktuell herumschlagen (Polizeigewalt, Nationalismus).

Nur die WELT verreißt "Rohwedder" merkwürdig aufgebracht wegen der Mutmaßung, die damalige Bundesregierung könnte hinter dem Mord gestanden haben — "Sie bedient alte Verschwörungstheorien und verbreitet neue Spekulationen.“

Vor allem aber ist die Serie eine Sensation, qualitativ. Und dass sie so gut geworden ist, liegt sicher auch daran, dass die Filmemacher von Netflix mit enormen Mitteln und Möglichkeiten ausgestattet wurden. Die erste deutsche Netflix-Doku setzt neue Maßstäbe. Sie ist True Crime, Geschichtsschreibung und letztlich auch Kapitalismuskritik. Auf jeden Fall versteht man danach besser, warum dieses Land ist, wie es ist.

"Rohwedder" — eine Doku-Serie über Deutschland

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Kommentare 8
  1. Daniela Becker
    Daniela Becker · vor 4 Jahren

    Ich hab das gestern angefangen und glatt durchgebinged. Die einzelnen Teile sind etwas arg netflixig geschnitten, aber wirklich sehenswert, insbesondere wegen des sehr kritischen Blicks auf die Art und Weise wie die Wiedervereinigung durchgezogen wurde. Einmal fällt von einem Zeitzeugen das Wort "deep state", da musste ich auch schlucken, weil der Begriff ja heute völlig andere Assoziationen auslöst. Aber diese Theorie ist gut eingebettet in mögliche andere Szenarien.

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