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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
... ist zwischen den Meinungen:
Letzte Woche wurde ich noch mal aus meiner vielleicht nie mehr ganz zu kurierenden "Feuilleton-Depression" (s. a. Johanna Adorján: "Meine 500 besten Freunde") gerissen, als am selben Tag in den beiden Zwillingszeitungen FAZ und taz Olivier Assayas' neuer Film "Zwischen den Zeilen" komplett kontrovers besprochen wurde.
Kontrovers heißt, dass Andreas Kilb in der FAZ eine lebenskluge, melancholische Hymne auf die Komödie (?) aus dem Pariser Literaturbetrieb schrieb (s. unten), während Ekkehard Knörer in der taz allein schon das Gerede und das bourgeoise Bohéme-Personal des Films nicht aushielt und einen krachenden Verriss hinschmiss.
Kilb schrieb:
Zwei Männer, [der Autor] Léonard und [sein Verleger] Alain, ihre Frauen, dazu ein paar Freunde und Geschäftspartner, das ist die Konstellation, mit der „Zwischen den Zeilen“ spielt. Das Gleichgewicht ist dadurch gestört, dass Léonard seit Jahren ein Verhältnis mit Alains Ehefrau Selena (Juliette Binoche) hat, von dem er, kaum verschleiert, in seinen Büchern erzählt (allerdings verlegt er eine Fellatio, die während eines „Star Wars“-Films stattgefunden hat, aus Eitelkeit in eine Vorführung von Michael Hanekes „Weißem Band“). Aber auch Léonard (Vincent Macaigne) befindet sich in Schieflage, weil er die digitale Revolution verschlafen hat. Bei einer Lesung erfährt er, dass seine Exfrau im Netz einen Shitstorm gegen ihn entfesselt hat. Seine erotisch angeschärften Tagebuchromane fahren in Zeiten von MeToo vor die Wand der neuen sexuellen Korrektheit.
In einem anderen Film – einem deutschen etwa – könnte man diesen vier Personen jetzt beim Untergehen zuschauen. Alain würde seinen Verlag verlieren, Léonard seinen Stolz und beide ihre Frauen. Aber Assayas denkt gar nicht daran, seine Figuren von einer Klippe stürzen zu lassen, die nur in Drehbüchern existiert. Sein Film ist auch darin zutiefst französisch, dass er Molière den Vorzug vor Shakespeare gibt. Die Verkörperung dieser antitragischen Haltung ist Juliette Binoche, die als Alains Gattin diesmal keine Hauptrolle spielt, aber den Film dennoch zusammenhält.
Knörer schrieb:
Der auf seine schluffige Art auf schwer erträgliche Weise von sich eingenommene Schriftsteller Léonard (Vincent Macaigne) zum Beispiel hat Sex mit Selena (Juliette Binoche), die allerdings die Frau seines Verlegers Alain Danielson (Guillaume Canet) ist. Der wiederum hat Sex mit der sehr viel jüngeren Laure (Christa Théret), der Digitalisierungsberaterin seines Verlags. Dann ist da noch Valérie (Nora Hamzawi), die Freundin von Léonard. Sie arbeitet für einen Politiker, der hat allerdings Sex nicht mit ihr, sondern mit Prostituierten. Sie wäscht ihm dafür den Kopf.
Das ist das Setting: superbürgerlich, irgendwas mit Medien und Literatur, zur Not Politik, alle gebildet, alle schrecklich fern von anderen Realitäten, alle in einer justemilieu-natürlich-eher-linken Luxus-Diskurs-Blase gefangen, in der es selbstverständlich scheint, große Wohnungen in Paris und daneben Landhäuser zu besitzen, den neuesten Klatsch mit dem Schwadronieren über Medien¬umbrüche zu verbinden und „Das weiße Band“ für einen bedeutenden Film zu halten. Und dann einen obszönen Witz daraus zu machen, indem man im Roman beschreibt, wie einem die Geliebte während des Kinobesuchs autofiktional einen bläst. So bei Léonard, der seine ganze Karriere darauf gebaut hat, das eigene Leben ohne Rücksicht auf andere als Literatur zu verbraten.
An dem Film interessierte mich sofort alles. Zum Beispiel, dass er von Olivier Assayas ("Carlos", "Personal Shopper") war, dass es um einen Verleger und einen Autor ging (seit Christian Vincents "Die Verschwiegene" von 1990 eigentlich immer eine spitzen Plot-Idee!) und dass er in Paris spielte, wo letzte Woche ja noch die French Open tobten (mein Bruder war als Sportreporter vor Ort und berichtete für Spiegel Online über Aufschläge von unten und die Getriebenheit Rafael Nadals).
Aber noch mehr begeisterte mich die Idee mit den radikal gegensätzlichen (oder wie in einem imaginären Streitgespräch gegeneinander geschriebenen) Rezensionen, die ich fast beide gleich gern gelesen hatte. Im Grunde wünsche ich mir das für jeden Film, jeden Roman und jedes Album: dass es dazu eine Hymne in der FAZ und einen Verriss in der taz geben sollte (oder meinetwegen auch einen Verriss in der FAZ und eine Hymne in der taz).
Blöderweise ließ ich mich dann noch in meiner Begeisterung dazu hinreißen, Andreas Kilb (und nicht Ekkehard Knörer, den ich hier im Literatenfunk ja schon ausreichend gewürdigt hatte) eine überschwängliche Leser-Mail zu schreiben, die exakt so losging wie dieser piq (s. oben).
Allerdings kam mir die Formulierung "meine vielleicht nie mehr ganz zu kurierende Feuilleton-Depression" (den Verweis auf die Adorján-Story hatte ich mir zum Glück geschenkt) sofort nach dem Abschicken der Mail vollkommen deplatziert vor, peinlich und geposed (... die on the inside stärksten Gefühle sind ja oft die in der Außendarstellung schwächsten). Aber alles ging gut. Der nette Andreas Kilb, den ich wie einen Lieblingsautor seit circa 1987 lese, als er noch für die ZEIT schrieb (angeblich erwartete Reich-Ranicki mal den Roman seiner Generation von ihm), antwortete sofort, dass er sich freue und dass sein Kollege Knörer ein kluger und meinungsfreudiger Mensch sei.
Den Film selbst hab ich bisher allerdings noch nicht gesehen. Das liegt zum einen an einer weiteren Kritik (von Gerhard Midding im Kulturkalender der Berliner Zeitung, leider nicht online), in der nur ganz kurz der Zweifel geäußert wird, ob Olivier Assayas überhaupt Komödien kann. Zum anderen am Wetter und weil ich so viel Zeitung lesen muss, die ganzen auf einen wachsenden Stapel zurückgelegten Artikel aus dem Feuilleton.
Quelle: Andreas Kilb faz.net
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