Amerikanisches Tagebuch, Teil 3 – Was ich ganz vergaß, zu erwähnen: ich bin hier tatsächlich wie Denis Scheck mit deutschen Büchern unterwegs, weil für den "Freitag" mehrere (okay: zwei) Folgen "Bad Reading" als eine Art Distant Reading produziert werden mussten. Titel wie Oskar Roehlers "Selbstverfickung", Gorkows "Hotel Laguna", Ferrantes "Geschichte der getrennten Wege" und Ottessa Moshfeghs "Eileen", die ich der Familie hier schlecht da lassen kann (Ferrante wurde schon komplett auf englisch gelesen) und die ich jetzt wohl wieder werde mit zurückschleppen müssen, weil ich es trotz allem nicht fertig gebracht habe, sie in irgendwelchen Motels liegenzulassen (außer Roehler vielleicht, aber mit dem bin ich noch nicht fertig).

A. hab ich deswegen noch ein ganz anderes Buch eingepackt (s. Foto). Auf die kleine Penguin-Reihe war ich eher zufällig gestoßen, aber das schöne Pocket-Format hat mich sofort überzeugt und ich hab mir für 1,50 das Stück auch noch Dostojewksi ("The Meek One") und "Tales of The Cynics" dazubestellt. Nietzsche auf englisch war sofort eine Wiederentdeckung: mir gefiel schon das schonungslose "clever" in der Titelübersetzung, außerdem die biographische Kurzangabe ("Born 1844, Roecken, Kingdom of Prussia. Died 1900, Weimar, German Empire.") und erst recht der spektakuläre Klappentext: "Self-celebrating and self-mocking autobiographical writings from Ecce Homo, the last work Nietzsche wrote before his descent into madness..." Während eines sogenannten geisteswissenschaftlichen Studiums, das ich an der Freien Universität Berlin tatsächlich irgendwie mit abschließen konnte, war Nietzsches "Fröhliche Wissenschaft" zu einem meiner Lieblinsgbücher geworden. Das wegweisende Seminar zu diesem Werk eines der besten meiner gesamten 19-semestrigen Uni-Karriere. Ich erinnere mich noch gut, wie ich an drei verschiedenen Versionen einer Hausarbeit zu Nietzsche scheiterte (und sich die Dozentin, die sich tragischerweise Jahre später umbrachte, weigerte, mir einen Schein zu geben, das könne sie einfach nicht mit ihrem intellektuellen Gewissen vereinbaren). Aber immerhin inspirierte mich die Erfahrung dazu, meine Magisterarbeit gewissermaßen als Primärliteratur abzulegen: ich beschrieb auf circa hundert Seiten einfach, wie ich auf einer Zugfahrt von München nach Berlin einem Mitreisenden meine Magisterarbeit (und einige Gedanken zum Zustand der Literaturwissenschaften an sich) erzähle. Und bekam dafür, selige FU-Zeiten, eine Zwei.

Von diesen Erinnerungen unbelastet liest A. (der Schotte) allerdings gerade ein ganz anderes Buch, den großartigen Ratgeber "BECOMING A SUPPLE LEOPARD – The Ultimate Guide to Resolving Pain, Preventing Injury, And Optimizing Athletic Performance" von Dr. Kelly Starlett, eine wahre Goldgrube des naturgemäß ultimativen Amerikanischen Denkens. Starlett ist ein tätowierter Bodybuilder mit gegelter Igel-Frisur, der natürlich eine deutlich längere biographische Angabe als Nietzsche erhält:

"Dr. Kelly Starrett – coach, physiotherapist, and author of the New York Times bestseller Ready To Run – has revolutionized how coaches, athletes, and everyday humans approach performance, as it relates to movement mechanics, and the actualization of human and athletic potential. He and his wife, Juliet Starrett, co-founded San Francisco Cross-Fit and MobilityWOD.com, where they share their innovative approach to movement, mechanics, and mobility with millions of athletes and coaches around the world. Kelly travels the world teaching his wildly popular Movement & Mobility Course and also works with elite military forces and every branch of the military; athletes from the NFL, NBA, NHL, and MLB; and nationally ranked strength and power athletes. He consults with Olympic teams and universities and is a featured speaker at strength and conditioning and medical conferences nationwide. Kelly believes that ALL HUMAN BEINGS SHOULD KNOW HOW TO MOVE and BE ABLE TO PERFORM BASIC MAINTENANCE ON THEMSELVES. He lives in Northern California with his insanely talented and amazing wife and their two young lionesses, Georgia and Caroline. His chief life goal is to spend more time on the beach with his family." (Die Hervorhebungen in Capitals sind von mir.)

Sein Leoparden-Buch ist eine Mischung aus abgewandelten Yoga-Übungen, Gegenwartsüberlegungen und of course, Ratgeber-Tipps. Am besten gefällt mir der sogenannte Belly-Wack-Test –  … a way to bring consciousness to the braced neutral position and the 20 percent constant tension concept: Man sollte es immer aushalten, dass einem einer im Vorbeigehen mit der flachen Hand auf den Bauch klatscht.

Ein Hauptaugenmerk gilt außerdem Sitzen. Starrett gibt Übungen für korrekte Texting-Positionen mit dem Smartphone – eben nicht krummrückig hingefläzt, sondern aufrecht im 90 Grad-Winkel, oder wahlweise vorne auf die Knie abgestützt (ein bisschen, wie man auf dem Klo liest). Grundsätzlich gilt: 

"I have a saying: SITTING IS DEATH. It causes muscle tightness, but that’s not all. Long periods of sitting devour your athletic performance potential. This is even more true for those who spend seven to nine hours a day sitting in COMPROMISED POSITONS. It should come as no surprise when you feel like a BROKEN-DOWN MESS after sitting on a plane, in a car, or at a desk. You’ve forced yourself into a toxic position that feasts on your athletic potential and wreak havoc on your health.

It’s not hard to see why experts are now referring to sitting as a disease. In fact, research suggests that long periods of sitting can be as harmful to your health as smoking."

True that, möchte man schreien, vor allem wenn man an den deutschen Literaturbetrieb denkt. 95% seiner Hervorbringungen (egal ob human beings oder books) merkt man nur allzu deutlich an, dass sie im Sitzen entstanden sind. Und jetzt brauch ich angesichts der Wahlergebnisse aus der Heimat erst mal dringend einen Kaffee und eine American Spirits im Stehen!