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1981 in St. Petersburg geboren, kam 1992 mit ihrer Familie nach Deutschland. Mit ihrem Debütroman „Meine weißen Nächte“ (2004) wurde die damals dreiundzwanzigjährige Autorin als Entdeckung gefeiert, mit „Hochzeit in Jerusalem“ (2007) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert. Sie veröffentlichte weiterhin die Romane "Lieber Mischa", "Die Listensammlerin" und "Null bis Unendlich" sowie das politische Buch "Sie können aber gut Deutsch!" Sie schreibt Texte jeder Art, arbeitet an einem Roman, einem Film und vielen Ideen und lebt in München.
Das ist eines dieser Bücher, aber der Satzanfang stimmt nicht. Es gibt diese Bücher nicht, oder ich habe sie nicht gelesen. Das ist dieses Buch: Wenn man es ausgelesen hat, möchte man nie wieder eine Beziehung führen. Man möchte keinen Partner und keine Partnerin, man rennt Ehen und selbst Affären davon, und auch sonstige Beziehungen, die, denen wir nicht entgehen können, machen plötzlich Angst. Man möchte keine Familie haben und keine Beziehungen innerhalb dieser: Nicht zu den eigenen Eltern, nicht zu den Kindern. So ein Buch ist das.
Die Geschichte, die auf 683 Seiten erzählt wird, ist so simpel, wie sie alltäglich ist: Zwei Menschen, ein Paar. Dann sind sie kein Paar mehr. Dazwischen, davor und auch in der Einsamkeit danach liegt die Geschichte. Hinter ihnen, was immer am Anfang steht: Sie waren verliebt. Sie zählten die Augenblicke, die miteinander. Sie dachten, was jedes Paar denkt: Niemand! hat jemals! so sehr! Und was man sich eben so denkt. Auf diesen Gefühlen werden Ehen gebaut, und wenn die Gefühle brüchig werden, so krachen die Ehen ein. Und man steht dann da vor den buchstäblichen Scherben. Julia und Jacob Bloch, so heißen die beiden, sie haben drei Kinder, drei Jungs, und einen Hund, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters immerzu sein Geschäft im Haus erledigt. (Auch so beginnen Streitigkeiten, obwohl der Grund natürlich ein anderer ist: Bei Hunden, die ins Haus machen). Da sind noch andere: Da sind Jacobs Eltern, und sein Großvater, der im Sterben liegt, da ist ein Besuch aus Israel, da sind unerfüllte berufliche Träume, aber vielleicht lässt man das „beruflich" auch weg: Da ist alles, was nicht war. Alles, was nicht war, daran zerbrechen die beiden.
Die Geschichte ist simpel, sie ist alltäglich: In Rückblicken wird die Liebe erzählt, in unerträglichen Details der Bruch, in Momentaufnahmen was von den Menschen übrig blieb, die einmal gefühlt hatten: Mit- und füreinander. Jonathan Safran Foer, der erst für seine Erzählkunst und dann für seine tierfreundliche, vegetarismus-fördernde Mission bekannt wurde, berichtet in seinem Werk „Hier bin ich" so detailgenau, dass es schmerzt. Von der Liebe, die so laut nicht mehr zu spüren ist: Als Jacob und Julia zum Beispiel an einem ihrer Hochzeitstage in das Hotel fahren, in dem sie einst frisch verliebt eine Nacht verbracht hatten, im Dunkeln die Wände abgetastet haben, ergriffen von der Droge, etwas Besonderes, weil zu zweit zu sein. Sie essen im besagten Hotel zu Abend, und sie freuen sich (leise, jeder für sich): Dass sie sich nicht übereinander ärgern. Dass da noch irgendwas ist, und sei es nur die Fähigkeit, miteinander zu Abend zu essen. Drei Seiten braucht Jonathan Safran Foer anschließend, um zu erzählen, wie die beiden sich im Badezimmer bettfertig machen: Zähne putzen, wer welche Zahnseide verwendet, wer wie die Nachtcreme aufträgt. Wie sie sich Zeit lassen bei jeder Bewegung, weil sie nicht das Zimmer betreten wollen. Das Zimmer, in dem ein Bett steht. Drei Seiten, durch die man sich mit den beiden quält, wie sie sich quälen, weil Jacob wie Julia wie der Leser gleichermaßen wissen: In diesem Bett, in das sie sich sogleich legen werden, wird nichts geschehen. Aber die Erinnerung wird neben und möglicherweise auch zwischen den beiden schnarchen. Laut.
„Hier bin ich" zu lesen, ist wie durch ein Schlüsselloch zu blicken: Nimmt man abends dieses Buch zur Hand, so ist es, als würde man Freunde besuchen. Freunde, die man zu gut kennt. Sie machen einem die Tür in Pyjamahose auf, und sie ziehen sich die Lippen nicht nach, bevor sie einen anlächeln. Man kennt zu viel von ihnen und hat auch jede Hässlichkeit gesehen. Man kennt sie im Licht, das die Dunkelheit wirft. Man weiß, wie dieses gutbürgerliche Haus einer akademischen, jüdischen, sich in kreativen Kreisen bewegenden, weißen Mittelschichtfamilie aussieht. Man weiß, welche Cornflakes sie zum Frühstück essen, und wer den Kaffee macht. Man ist in das kleine, immerzu philosophische Fragen stellende, aber jedes Essen außer Tiefkühlgemüse verweigernde jüngste Kind genauso verliebt wie die Eltern. Der angehende Teenager hingegen tut einem genauso leid wie die Erinnerung an das eigene, unsichere, pickel- und selbstzweifelübersäte, besserwisserische dreizehnjährige Ich.
Jonathan Safran Foer entwirft detailgenau und beeindruckend verspielt das Universum dieser Familie, aber zwischen die Zeilen schreibt er hinein, was universell ist. Was für jede Beziehung, für jede Liebe, für jede Familie gilt. Zum Beispiel:
„Gehen wir zu Bett. Diese vier Worte unterscheiden eine Ehe von jeder anderen Beziehung. Wir finden keinen gemeinsamen Nenner, aber lass uns zu Bett gehen. Nicht, weil wir es tun möchten, sondern weil wir es tun müssen. Wir hassen einander gerade, aber lass uns zu Bett gehen."
Es gibt Stellen, in diesem Buch, die die Komplexität des Lebens in so einfache anschauliche Sätze pressen, dass man sich wundert, das nicht bereits selbst so klar erkannt zu haben. Wenn Jonathan Safran Foer zum Beispiel das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern und die Bedeutung der Tatsache, dass die Kinder den Eltern zu entwachsen beginnen in dem Moment, in dem sie auf die Welt kommen, beschreibt: Nie wisse der Vater, wann das letzte Mal ist, dass der Sohn sich zu Bett tragen lässt. Nie ahnt die Mutter, wann sie das letzte Mal vorgelesen hat, weil das Kind ab dem nächsten Tag beschließt, alleine lesen zu wollen.
Jonathan Safran Foer braucht über 600 Seiten um zu erzählen, was statistisch gesehen jedem dritten von uns passieren kann oder wird. Er baut in die Geschichte zweier Menschen, die aber wie jede Geschichte niemals nur die von Zweien ist, eine Dystopie Israels ein - man hätte das, meiner Ansicht nach, getrost weglassen können. Neben seiner zerbrechenden Ehe setzt sich Jacob mit seiner jüdischen Identität auseinander, während ich sein großer Sohn widerwillig auf die Bar Mizwa vorbereitet, - da gibt es in Israel ein Erdbeben, das das Land nicht nur komplett zerstört, sondern auch die politische Ordnung in der Region durcheinander wirft. Es ist, als hätte der Autor mit diesem Erzählstrang zu viel gewollt, zu viel geplant - ein Gerüst, an dem er sich festhält, wie seine Protagonisten es jahrelang tun, indem sie sich an den Gedanken Familie krallen: Immerhin, es gab mal einen Plan.
Man erzählt sich, Jonathan Safran Foer habe mit dieser Geschichte seine Trennung von der Autorin Nicole Krauss verarbeitet — sie waren das Vorzeigepaar der amerikanischen Literaturszene. Die beiden haben drei gemeinsamen Söhne, genau wie Jacob und Julia in „Hier bin ich". Das wirft - mal wieder - die Frage auf, ob man etwas selbst erlebt haben muss, um es künstlerisch auf einem so hohen, berührenden, klugen und tiefgründigen Niveau verarbeiten, beschrieben, zeichnen zu können. Und wie immer, wenn etwas so berührend, klug und tiefgründig ist, lautet die Antwort auf diese Frage: Das ist doch nicht von Bedeutung. Von Bedeutung sind Bücher wie diese.
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Dieses Buch ist seit Monaten bekannt und längst überall gelobt. Ich habe es schon dreimal bis Weihnachten verschenkt. Was soll das hier? Rechtfertigung für das eigene Leseexemplar? Etwas herauszupicken bedeutet doch NICHT, etwas zu finden, was eh alle schon kennen. Da macht sich der Piquer bloß interessant auf Kosten anderer.
Danke für diese toll geschriebene Kritik! Das Buch möchte ich unbedingt lesen.