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Literatur

Mein kleiner Buchladen: Fußballbücher – "Optimist aus Leidenschaft"

Mein kleiner Buchladen: Fußballbücher – "Optimist aus Leidenschaft"

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSamstag, 06.04.2019

In meinem kleinen Laden stehen viele Fußballbücher. Alte Schinken über Weltmeisterschaften, die neben den Olympiade-Bildbänden schlummern, Vereins-Alben, Taschenbücher, Sachbücher. Sehr oft grüne Cover, die Wörter rund und eckig sind häufig zu lesen, aber auch Bibel, Fibel, Handbuch, DAS Buch, die Saison, kompakt, Strategie und ultimativ. Aber ich kann nicht an das Thema herangehen, als würde ich gleich einer Anthropologin einen völlig fremden Laden für antiquarische Bücher betreten – nein, natürlich stehen hier (und liegen zu Dutzenden in meiner Truhe) Fußballbücher, an denen mein Herz hängt, oder mindestens ein Teil meiner Lebenszeit.

Als mein Mann (wir sind nicht verheiratet, aber dieses "Freund" kommt mir im fortgeschrittenen Alter und nach 23 Jahren Beziehung albern vor) sein erstes Fußballbuch (über Union Berlin) mit einem Co-Autor schrieb, war unser Sohn zwei Jahre alt und uneinsichtig, was die häusliche Ruhe betraf. Deshalb stammt ein Schwung der Kinderfotos aus dieser Zeit (echte Abzüge, in ein Album geklebt!) von einem Bauernhof bei Schwerin, wohin wir beide uns zurückzogen. Er lernte Hunde lieben und bangte um ein Kätzchen (oder um mich) als ich selbiges per Leiter aus einem Baum holte. Beim BFC-Buch bangte ich um meinen Mann, weil einzelne Unioner ihm recht bedrohlich ihr Unverständnis darüber mitteilten, dass er sein Interesse ihrem Hauptfeind zugewandt hätte. Nichts geschah und beim nächsten Buch war ich dabei, mit einer Geschichte über die Geisterbeschwörung, die ich einmal mit meinen Freunden abgehalten hatte – wir riefen damals den Clubgeist des 1. FC Magdeburg, der uns sogar Ergebnisse vorhersagte.

Wir schrieben ein Buch über einen legendären Punk aus Stotternheim bei Erfurt und ich machte selbstverständlich mit, als es mit Stadionpartisanen weiterging, recherchierte in Stasi-Akten, führte Interviews mit Forschern und Fans, las Doktorarbeiten von Psychologen des MfS und begeisterte mich allmählich für diese seltsame Art der Freizeitbeschäftigung.

Inzwischen habe ich einen Mitgliedsausweis des 1. FCM und trolle zwischen deutschen Groß – und Kleinereignissen, die Elbe hinauf und hinunter und auf dem Balkan herum. Sehe mehr Spiele live als im TV. Der Besuch einer Stadt schließt neben dem Kunstmuseum, Friedhof und größtem Religionsgebäude nun auch das Stadion mit ein. Mein Mann hat viele weitere Bücher geschrieben und herausgegeben. Mich ziemlich in Ruhe gelassen ansonsten, er stöhnt manchmal auf dem Wohnküchensofa vor sich hin und ich muss nicht auf den Bildschirm schauen, um zu wissen, dass er mal wieder mit Jena leidet. Komischerweise ist er als Trainer der Autorennationalmannschaft proportional zum Misserfolg des FCC immer erfolgreicher geworden. Apropos Jena, als Teenager sah mein Mann dort einem Spieler zaubern, den er halbernst heute noch als seinen Gott bezeichnet – Lutz Lindemann. In Weimar groß geworden, entschied sich Frank Willmann mit Hilfe seines Vaters früh für Carl Zeiss. Erlebte als Siebzehnjähriger, wie diese Mannschaft im Europapokal zu Hause gegen den AS Rom gewann. Es gibt ein Bild, wie junge Männer den Platz stürmen und die Torschützen der vier Jenaer Treffer oben an der Anzeigetafel zu lesen sind – darunter auf dem Platz rennt Frank, ein glücklicher Junge in Parka und Jeans. Er rennt auf uns Betrachter zu und weiß noch nicht, dass er nicht mitfahren darf zur nächsten Runde, wo das Endspiel vor nicht mal 5.000 Zuschauern in Düsseldorf stattfinden wird. Und verloren gehen soll. Sein Glaube an die DDR sei auch daran zerbrochen, dass er als Fan nicht zum Spiel seiner Mannschaft reisen durfte, sagte er letztens bei einer Lesung – ein Puzzlesteinchen mehr.

Als er mir vor zwei Jahren begeistert erzählte, der Lutz wolle das Buch mit ihm machen, wurde ich neugierig. Wer ist Lutz Lindemann? Wenig später lernte ich ihn kennen, aus einem Kaffeetrinken in unserer Leidensküche (ich vermeide es momentan, mir dort Spiele des 1. FCM anzusehen, ich liebe meine Küche) wurden Stunden, erfüllt mit witzigen Anekdoten, minutenlang in irgendeinem sächsischen oder anderen hinterwäldlerischen Akzent gewimmert, dann wieder knochentrocken hochdeutsch auf Pointe gebracht; wie ein Spieler einen Schwamm ins Pausenbrot gelegt bekam, weil er die hübsche Elfi aus der Stadionkantine geneckt hatte, wie Lutz heutzutage versucht, im Supermarkt Einkaufswagen zu benutzen und daran scheitert, wie seine Frau in Aue nicht aus dem Schneeschippen kam… viele Geschichten kann man im nunmehr fertigen Buch nachlesen. Und erahnen, wie Lutz Lindemann sich mit sonorer Stimme selbst auf den Arm nimmt. Sich vom Halberstädter Straßenkicker zum Jungtalent mausert, und abstürzt. Weitermacht. Der Titel passt sehr gut zu Lutz, er ist ein leidenschaftlicher Optimist, ein neidloser Sportsgeist der alten Schule – ein Gentleman. Er ist das Gegenteil eines typischen Fans – Berufssportler, Diplomat, Abwäger und doch ein Fußball-Rebell im Kleinen. Eine DDR-Biografie, die alles aus Sicht der kleinen, normalen Leute erzählt und doch ein Fenster in die große weite Welt aufstößt. Sportler waren Botschafter, aber was nahmen sie selbst für Botschaften mit nach Hause, nach Erfurt, Magdeburg und Jena? Als Lutz Lindemann unrühmlich den 1. FC Magdeburg verließ, war meine Mutter mit mir schwanger, lief durch die Trümmer dieser Stadt und freute sich auf eine Neubauwohnung.

Heute kommentiert Lutz im MDR das mitteldeutsche Fußballgeschehen am Samstagnachmittag und ich staune jedes Mal, dass er keine Scherze macht. Wie übersteht er diese Zeit? Zwinkert er nicht doch heimlich? Bei den Lesungen kann er sich dagegen austoben und ich vermisse ein wenig, dass er uns jetzt nicht mehr zu Hause besucht. Ich schaue meine Katze an, die vom Küchentisch aus Lutz betrachtet und frage mich, ob sie sich an seine Stimme erinnert – dass er sie als kleine Schönheit bezeichnete, die problemlos in seine Tasche und daheim zur Farbe des Sofas passen würde, wird sie wohl nicht verstanden haben.

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