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Anne Hahn, in Magdeburg geboren, lebt seit 1990 in Berlin. Studium der Kunstgeschichte/Geschichte in Berlin und Florenz. Seit 1999 Porträts, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Medien. Buchveröffentlichungen u.a.: "Satan, kannst du mir nochmal verzeihn - Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest" (mit Frank Willmann) Ventil Verlag 2008, "Pogo im Bratwurstland: Punk in Thüringen" LzfpB, 2009, „DreiTagebuch“ Roman, „Gegenüber von China“ Roman, beide Ventil Verlag, 2014, "Das Herz des Aals", Roman, Ventil Verlag 2017, "Mitten drin - Fußballfans in Deutschland" BfpB, 2018, "Vereint im Stolz - Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum", BfpB 2021
Wenn ich den ersten Raum meines Buchladens durchquere, passiere ich zur Rechten die Belletristik von A bis L (Autorennachnamen), links folgt M bis P. Gewöhnlich gehe ich von Oktober bis April sehr schnell durch diesen nicht beheizten Raum und durchstreife seine Regale nur, um verkaufte Bücher herauszusuchen. Gestern schien kurz vor Mittag die Sonne in den Laden und ließ meinen Blick dem Lichtstrahl folgen, der sich über die Reihe Ma legte. Malapartes „Die Haut“ leuchtete auf und tauchte gleich wieder ins Dunkel. Die Sonne verzog sich, ich schaute weiter nach oben, auf die gut zwei Meter, die von Heinrich, Klaus und Thomas Mann eingenommen werden. Keiner von ihnen wurde vor Weihnachten verkauft. Aitmatow hingegen lief ganz gut, etwas von Sartre und Kafka. Sogar ein Lyrikbändchen von Geo Milew wechselte den Besitzer, Wolfgang Borchert und der Wachsmann-Report von Grüning. Aber die Manns breiten sich seit Jahren dort oben aus und setzen Staub an, wie schräg gegenüber Brecht, Goethe und Hauptmann. Ich stieg die Leiter hinauf und zog ein schmutzig weißes Buch heraus, welches mich sofort lächeln ließ. „Letztes Gespräch“, mein Rettungsanker in schwieriger Zeit.
Ich schlug eine Seite auf und las:
„Ich will Würde zeigen. Man beobachtet mich. Den Spähern an der Tür werde ich das Schauspiel nicht bieten, das sie sich von mir erhoffen. Von nun an wird nicht mehr gestöhnt, und ich presse die Stirne nicht mehr gegen dieses Eisengitter.“
Gerade vor ein paar Tagen hatte mein Freund mir aus seiner Lektüre etwas vorgelesen. Wolfgang Martynkewicz schreibt in seiner Biografie „Tanz auf dem Pulverfass“ über Gottfried Benn, die Frauen und die Macht. Und über Klaus Mann, der mit Benns zeitweiliger Geliebten Mopsa Sternheim befreundet war. Martykewicz skizzierte ihn in wenigen Sätzen: „Klaus Mann schrieb schnell und veröffentlichte schon in jungen Jahren viel. Was seinen Stil und seine Schreibweise angeht, so bewegte er sich eher im 19., als im 20. Jahrhundert. Die ästhetische Moderne, insbesondere die avantgardistischen Strömungen, gingen an ihm vorbei…“
Nachdenklich klettere ich mit den im Aufbau Verlag Berlin Weimar 1986 veröffentlichten Erzählungen herunter und drehe die Heizung im hinteren Raum auf. Neun Bücher habe ich verkauft, sie zu suchen und zu verpacken wird eine gute halbe Stunde dauern. Ich setze mich auf die Truhe vor dem Hoffenster und fühle, wie Wärme in den Heizkörper an meinem Rücken strömt. Es gluckert und Klaus Mann führt in meinen Händen einen König durch die letzten Stunden seines Lebens. Ludwig II von Bayern wird zu Beginn der Erzählung „Vergittertes Fenster“ in das Schloss Berg am Starnberger See gebracht, als Gefangener. Der König war von seinen Doktoren als unheilbar geisteskrank eingestuft worden und sollte in vergitterten Räumen seines eigenen Schlosses „verwahrt und eingesperrt werden wie ein reißendes Tier.“ Die Diener haben Mitleid mit ihm, Medizinalrat von Gudden versucht den Kranken zu beschwichtigen, dem die Gitter an seinen Fenstern missfallen.
„Der Ausdruck des Schmerzes und des Widerwillens auf dem großen, weißen Antlitz, dessen jammervolle Fläche er zürnend dem bemalten Plafond hinhielt, war ungeheuer.“
Ich lese diesen Satz jetzt gänzlich anderes als vor dreißig Jahren. Damals lechzte ich nach Phantasien, mich aus meiner Gefangenschaft zu befreien. In meinen Träumen erzeugte ich Wirbelstürme oder rief Kugelblitze herbei, um die Gefängnismauern zu durchschlagen – ich war also ganz bei Klaus Mann und seiner Figur, nahm ihm ab, wie die List gelingt; Doktor und Kranker spazieren gehen. Wie der König in den See sprintet und der Doktor ihm notgedrungen folgt, ihn herauszulocken sucht.
Was der wirre König ruft, als er mit dem Doktor ringt: „Das triefende Haupt aber heulte – und es glich dem Haupt eines Meeresungeheuers -: ‚Heim will ich! In mein Reich!‘“ ist mir aus heutiger Sicht doch zu fett geraten. Die Sprache ist manieriert und wirklich eher dem 19. Jahrhundert verhaftet. Berührt mich nicht mehr mit dem alten Zauber. Ich bin enttäuscht über die Begeisterung meines jüngeren Ichs, verzeihe mir aber rasch wieder. Überfliege den Rest. Irrer und Doktor ertrinken und am Ende der fünfzigseitigen Erzählung nimmt Kaiserin Elisabeth Abschied von ihrem „lieben Freund“, den man wie einen „bösen Narren“ eingesperrt habe. Sie weint, schwankt, taumelt und bedeckt ihn mit ihrem Haar und ihren Küssen, „mit wundervoller Gebärde über den Toten hingebreitet.“ Ich schüttele den Kopf und blättere durch das Nachwort von Friedrich Albert, wundere mich über den Zeitpunkt der Entstehung dieser Novelle, zwischen den Romanen „Mephisto“ und „Vulkan“. Klaus Mann war verliebt in diesem Sommer 1937 und doch „deutet die unfragliche Affinität des Autors zu seinem todessüchtigen Helden auf ein krisenhaft gebrochenes Lebensgefühl hin – und dies inmitten einer Hochzeit literarischer und politischer Aktivitäten.“
So, der Computer ist hochgefahren und mein Rücken warm, während die Nasenspitze eiskalt bleibt. Ich werde Kläuschen wieder oben in seine Reihe verstauen und versuchen, mich beim Einpacken an eine andere Erzählung aus diesem Band zu erinnern, deren Titel mir ausnehmend gut gefiel, „Gegenüber von China“.
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