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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Debüts“ – Mein Ein und Alles

Mein kleiner Buchladen: „Debüts“ – Mein Ein und Alles

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSonntag, 25.11.2018

„Du gehörst mir“, sagt er, schwingt den Schürhaken und trifft sie am Arm, und sie landet bäuchlings im Matsch, ihr linker Arm ist taub, die Schulter fühlt sich wie gebrochen an, und sie versucht, aufzustehen, bekommt eine Hand unter ihren Körper und stemmt sich hoch, und er setzt einen Stiefel auf ihren Rücken und drückt sie zu Boden.“

Wenn wir diese Stelle erreicht haben, sind wir schon 166 schmerzhafte Seiten vorangeschritten im Martyrium des Mädchen Turtle. Denn hier wird die Tochter, ein Kind, gequält, geschlagen, vergewaltigt und gedemütigt. Mir gelang es nicht, dieses frisch im Penguin-Verlag erschienene Buch in einem Ruck durchzulesen. Knapp 500 Seiten füllt das Debüt des 1987 in New Mexico geborenen und in der Nähe von Mendocino mit zwei Müttern aufgewachsenen Autors Gabriel Tallent. Sie sind durchdrungen von der kalifornischen Natur, die in jede der grausamen Szenen hineinwuchert und schwappt.

Das Mädchen ist groß für eine Vierzehnjährige, mit einem "fohlenartigen Körper: lange Beine und Arme, breite, aber schlanke Hüften und Schultern, der Hals lang und sehnig." Sie lebt allein mit dem Vater in einem Haus am Meer, übt täglich schießen und ist eine Einzelgängerin in der Schule. Sie kennt es nicht anders, die Mutter ist fort, der Großvater kommt nicht zu ihnen ins Haus, dorthin, wo es Bier und rohe Eier zum Frühstück gibt und das Waffenputzen vor den Vokabeln geübt wird. Turtle, wie sich Julia selbst nennt, während der Vater sie Krümel oder kleines Luder ruft, lebt in ihrer eigenen Welt. Eine erschreckende Welt ist das.

Von Beginn an rührte mich die in der dritten Person geschilderte Innensicht des Mädchens. Wie fühlt ein Mensch, der täglich durch die Hölle geht, jedoch kein anderes Leben kennt? Warum sollte sie Hilfe suchen, wo sie nicht um die Abnormalität des Geschehens weiß? Der Großvater ist keine Unterstützung, aber ein Kumpan. Mit ihm geht sie Krabbenfischen, blau geschlagen und von Messerschnitten verletzt.

"Draußen in der Bucht liegt eine von Buchweizen und Habichtskraut überwucherte und von Brandungshöhlen untertunnelte Insel mit einem Blasloch, aus dem weißes Wasser in die Höhe schießt. Grandpa und sie kommen zu diesem Strand, so weit Turtle zurückdenken kann. Hier ist ihre Mutter gestorben, und irgendwo dort draußen knirschen ihre Knochen zwischen den Wackersteinen."

Die Naturbeschreibungen in Tallents Debütroman sind stimmig, detailliert, beunruhigend. Immer nah am Abgrund, wie die Handlung an sich. Ob Turtle nach Krabben taucht, mit den bloßen Händen Aale fängt, Skorpione isst oder verletzt auf einer Insel überlebt. So leichtfüßig der Autor diese Szenen erzählt, lassen sie langwierige Schreibarbeit erahnen. Einen Bärenanteil am literarischen Genuss trägt die einfühlsame Übertragung aus dem Amerikanischen von Stephan Kleiner. In den USA stand das Buch wochenlang auf der Bestsellerliste der New York Times, gerade erscheint es in 28 Ländern.

Ging für mich die Geschichte der Wölfe im Debüt von Emily Fridlund noch vergleichsweise harmlos mit seinen Figuren um und harmonisierte mit der Natur, wird hier in jeder Beziehung über Grenzen gegangen. Es ist immer ganz knapp. Ihr erstaunlich langes Durchhalten hat Turtle vielleicht ihrer starken Konstitution zu verdanken. Und der Liebe, hier meine ich Liebe als Ziel, weniger als frei gewähltes Gefühl eines unbeschwerten Teenagers. Das ist zunächst der perverse Vater selbst, ein intelligenter Aussteiger, der sich aus der mitmenschlichen Kultur verabschiedet und Turtle vollkommen für sich beansprucht, später der Junge Jacob, dem es als einzigem gelingt, sich Turtle wirklich zu nähern - und schließlich ein weiteres Mädchen, welches in die Gewalt des Vaters gerät. Als alles zu zerbrechen droht...

Mir ist der Feuersturm der Ereignisse im letzten Romandrittel echt zu fett, bei seiner Verfilmung werde ich wenigstens die Chance haben, mir die Augen zuzuhalten, hier bleibe ich japsend zurück. "Welch ein Bild für das heutige Amerika" schreibt die MDR-Literaturredakteurin und eine Bloggerin meint; "das heftigste Buch dieses Jahres!"

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