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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Der sogenannte Tischtennis-Literaturclub – eine Reihe versprengter Autoren, die den Sommer über an Steinplatten draußen spielten und jetzt was zum gemeinsamen Lesen für drinnen suchen – sträubt sich nach wie vor gegen meinen Vorschlag, die Neuübersetzung von Flauberts Éducation Sentimentale, Lehrjahre der Männlichkeit, zu lesen. Die beliebtesten Probleme mit dem Roman sind:
1. Hat seine historischen Verdienste, ist aber mittlerweile eher ein Fall für die Literaturwissenschaft.
2. Eigene Bedenken, ob ich der pc-Fraktion unter den Tischtennisliteraten, die sich bereits über die unsympathischen Frauenfiguren in Richard Fords Irische Passagiere aufregten (bzw. über die ja nur von mir dort reininterpretierte US-Analogie "Frauen = Republicans vs. Männer = Democrats"), einen Roman zumuten darf, in dem in der Rückschau auf ein Leben ein gescheiterter Puff-Besuch mit 15 als Höhepunkt gilt.
3. Und, vielleicht am interessantesten: Flaubert "schreibt zu gut" – so dass man sich am Ende selbst gar nicht mehr trauen könnte (also: zu schreiben).
Aber: Ist das wirklich so? Zumindest die Furcht aus Punkt 3 würde ich den Tischtennisliteraten gern nehmen, indem ich behaupte, dass Flaubert auf hohem Niveau eben gerade "nicht gut" schreibt. Zur Untermauerung dieser These verweise ich auf Gerrit Bartels fantastische Lehrjahre-der-Männlichkeit-Rezension letztens im Tagesspiegel (s. Hauptlink unten). Die Besprechung gefällt mir so gut, weil sie alles Großartige und Schwierige des Romans zusammenbringt: Titelfindung, historischer Hintergrund und innere Handlungslosigkeit, Psychogramm der Hauptfigur Frédéric Moreau ("Slacker"), Lieblingsbuch von Kafka! Vor allem aber Flauberts speziellen Stil aus Subjekt- und Tempowechsel. Im Tischtennis würde man sagen: Ein Rhythmusbrecher vor dem Herrn – kurze Vorhand-Slice-Stops ("Er reiste." – "Er kam zurück."), epische Rückhand-Topsinschwünge (die Porzellanmanufaktur auf dem Land, das Galopprennen auf dem Champ des Mars).
Bloß, dass ich mich angesichts all dessen selbst zu einem eher langsamen (oder intensiven) Lesetempo habe verleiten lassen: Nach 20 Tagen bin ich gerade mal auf Seite 61 (allerdings plus 15 Seiten Anmerkungen).
Dafür habe ich in der Zwischenzeit Benjamin Constants Adolphe (1816) wiedergelesen, auch eine Art "Lehrjahre der Männlichkeit" und ein Lieblingsbuch seit über 20 Jahren, jetzt in schöner Aufmachung und Neuübersetzung durch Erich Wolfgang Skwara bei Matthes & Seitz herausgekommen. Erzählt wird die Geschichte des jungen Adolphe, der sich in die zehn Jahre ältere Ellénore verliebt. Ellénore ist mit dem Grafen de P*** verheiratet, verlässt diesen und ihre Kinder jedoch für Adolphe, der sich dann trotzdem oder gerade deswegen nicht für sie entscheiden kann und alles endet sehr tragisch.
Benjamin Constant war eine faszinierende Persönlichkeit: liberaler Politiker, Philosoph und Promi seiner Zeit. Er verkehrte mit Goethe, Kant schrieb eine Entgegnung auf seine Verteidigung der Lüge, und er hatte mit Madame de Staël eine Tochter, heiratete aber Charlotte von Hardenberg. Adolphe ist sein einziger "Roman", der bei Erscheinen einen Skandal auslöste, den auch die Herausgeberfiktion mit mehreren Vor- und Nachworten nicht abmildern konnte. Es handelt sich um 150 hochverdichtete Seiten Confessio, den ersten "psychologischen Roman", mitten in der Hochzeit der Romantik. Der junge Adolphe ist innerlich zerrissen zwischen Karriereperspektiven, gesellschaftlicher Verantwortung, Lebenshunger, Amour Fou. Kühlste Selbstreflektion steht schonungslosem "Streben des Herzens", der ständigen Überhöhung der eigenen Gefühle entgegen. Das Ganze aufgeschrieben im Stil einer Urteilsverkündung, deren Pathos und Härte heute befremden mag, neben der der Sündenstolz großer Gegenwarts-Bekenntnisliteraten wie Carrère und Knausgård manchmal aber auch nur noch wie kalter Kaffee wirkt.
Als ich das Buch zum ersten Mal las, hat mich vor allem die Schilderung eines Vater-Sohn-Verhältnisses fasziniert, das an Ironie, Schüchternheit und Wohlwollen leidet. Beim Wiederlesen dachte ich eher an eine fatale Analogie: die zwischen dem Streben in der Liebe und Literatur. – Liebe ich die richtige? Lese ich das richtige Buch? Gibt es nicht so viele bessere? Will ich überhaupt noch "Romane" lesen?
Das Buch wurde mehrfach verfilmt, zuletzt ziemlich schlimm mit Isabelle Adjani. Es gibt aber auch den lustigen Film Der Vorname (2012), in dem der Roman dafür herhalten muss, warum ein Pariser Jude seinen Sohn ausgerechnet so nennen will:
Adolphe.
Quelle: Gerrit Bartels Bild: privat www.tagesspiegel.de
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