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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Da ich zur Buchmesse ein „Bad Reading“-Spezial plane, in dem ich nur Neuerscheinungen von Freunden (Jan Böttcher, Hannes Köhler, Wolfram Eilenberger) rezensiere, möchte ich an dieser Stelle schon mal das Schwierigste üben. Freunde besprechen. Normalerweise ist unter befreundeten Autoren schonungslose Omèrta angesagt, wenn jemand ein Buch veröffentlicht, das einem vielleicht nicht gefallen könnte. Dabei sollte ehrliche Kritik doch gerade unter … - vergiss es, wenn du erst so anfangen musst, begrabe die Freundschaft lieber gleich zusammen mit deinem Herz an der Müllkippe hinter der Biegung des Flusses.
Zum Glück muss ich mir solche Sorgen bei meinem Autoren-Torwart-Blutsbruder Ronald Reng nicht machen, den ich vor 13 Jahren im Zuge der sogenannten Autonama-Gründung kennengelernt hab und der mich ohnehin hasst, weil ich Bücher nicht zu Ende lese. Wir mailen uns ungefähr wöchentlich, deswegen weiß ich auch seit circa einem Jahr, dass Reng, einer der hardest working people in showbizz, ein erzählendes Sachbuch über das Laufen schreibt. Was mir genug Zeit gab, darüber zu grübeln, wie er (Torwart!) das denn anstellen wollte. Da ich trotz unserer Freundschaft absolut nichts über seine Laufvergangenheit wusste. Was sicherlich auch für seine diskrete Persönliichkeit spricht, damit nie ein Fass aufgemacht zu haben.
Dafür weiß ich eine Menge anderes Zeug über Ronald Reng (den ich hier einfach immer nur weiter „Ronald Reng“ nennen werde, weil das so geil juristisch klingt und er selbst das als großer JM Coetzee-Fan auch dauernd macht: Leute mit Vor- und Zunamen anreden). Ronald Reng ist einer der ehemals besten Fußballreporter im ehemaligen SZ-Lieblings-Ressort Sport und heute ein einzigartiger Meister des erzählenden Sachbuchs (über suizidale Torwärte, abgezockte Spielerberater oder Bundesligatrainer-Has-Beens). Diese Einzigartigkeit leite ich literaturkritisch aus folgenden persönlichen Erfahrungen mit ihm ab:
- Ronald Reng ist der einzige, den ich kenne, der es schon lange vor Pep Guardiola ablehnte, Fußball im Fernsehen zu gucken (weil er immer den ganzen Platz im Blick haben muss: wissen, was der Verteidiger hinten links macht, wenn der Ball gerade vorne rechts im Sturm rumtobt).
- Er ist der einzige, der dem heiligen Herrndorf, der auch sehr fies sein konnte, mit einem herzhaften „Halt’s Maul du Arschloch“ Bescheid geben konnte, als der sich mal über ein von ihm kassiertes Tor lustig machte.
- Der einzige (im engeren Bekanntenkreis), der einen Klagenfurt-Auftritt noch schlimmer als ich (... mit dem F-Wort in einer Wirtschafts-Story von I. Radisch aus der Shortlist verbannt worden) an die Wand gefahren hat (komplett nicht seine Schuld: er hatte sich von einem Woyzeck-Darsteller aus unserem Autorenteam überreden lassen, mit Korkenzieher im Mund zu üben und seine Lesung szenisch zu gestalten).
- Der einzige, der mal meinen Namen für die Hauptfigur seines nicht ganz so witzigen Romans „The Funny German“ verwendet hat (weil er angeblich „reale Namen“ für seine Romane braucht).
- Der einzige, der meine failing FC-Fanfibel jemals zum „Fußballbuch des Jahres“ vorgeschlagen hat: auf eine Art, die nicht nur Jochen Schmidt, sondern auch mich selbst immer noch zu Tränen rühren würde (wenn wir uns nicht mit beispielloser innerer Härte gegen solche Sentimentalitäten immunisiert hätten).
… Okay, ich denke, der arglose piqd-Leser wird sich zu diesem Zeitpunkt ein ausreichend umfassendes Bild vom Grad unserer Verstricktheit gemacht haben, aus der heraus ich jetzt endlich über Ronald Rengs neues Buch schreiben möchte.
Unter dem etwas pathetischen WAS IST WAS-Titel „WARUM WIR LAUFEN – Von Passion, Qual und großer Freiheit“ (Piper) spielt Ronnie auf 300 Seiten seine Stärken als Portraitist, Beobachter und vor allem Ex-Spitzenläufer aus. Ich hatte ja wie gesagt keine Ahnung, dass er in seiner Jugend neben Fußballtorwart auch noch ein versierter Mittelstreckler gewesen ist (Bestzeit über 1.000 Meter 2:32 – fuck me!). Nüchtern weist er allerdings im Klappentext sofort darauf hin, dass er nun schon viele Jahre nicht mehr gelaufen ist – bis er jetzt „mit fast 50“ (fuck us!) die alte Leidenschaft noch mal neu entdeckt (es ist ein schöner Running Gag des Buches, wie er beim Comeback-Versuch immer wieder auf den gealterten Körper zurückgeworfen wird: Voltaren hilft, aber irgendwann macht die Plantar-Sehne zu …).
Dies tut Ronald Reng in 29 kurzweiligen Kapiteln, die so gut wie alle Aspekte des Laufens abklappern und mich schon – super Idee – in der Inhaltsangabe mit ihren catchy captions überzeugen:
„Kilometer 0. Wie jeden Tag Dutzende Läufer vor meinem Küchenfenster vorbeiziehen und ich mich dunkel erinnere: Ich war auch mal einer von ihnen.“
„Die Freiheit zu laufen. Laufen kann man überall. Auch im Gefängnis. Mit Olympiasieger Dieter Baumann hinter Gittern, bei seinem ungewöhnlichsten Laufprojekt.“
„Annäherung an den Mond. >Sehne< Orthmann war der coolste Typ im deutschen Laufsport. Nun lehrt er uns auch noch, wie man im Alter das Laufen genießt.“
Meine Lieblingskapitel sind die mit Thomas Hitzlsperger und Jens Harzer.
Mit Hitzlsperger, dem Ex-Fußballprofi, mit dem Reng schon vor dessen Coming-Out befreundet war, geht er in München laufen, um sich darüber zu unterhalten, wie leichtathletisch-metrosexuell der einst so machistische Biertrinker-Sport Fußball inzwischen geworden ist, wo Laufen früher immer nur als Sünde und Strafe angesehen wurde (so dass selbst Hitzlsperger beim VfB Stuttgart seine persönlichen Laufeinheiten nur geheim absolvieren konnte).
Und mit Harzer, dem Schauspielstar des Thalia-Theaters, verbindet Reng eine gemeinsame Laufwettkampf-Jugend in Hessen. Unglaubliche dreißig Jahre später treffen die beiden sich in einem Hamburger Hipster-Café wieder, um sich darüber zu unterhalten, ob oder wie sie das Laufen für ihr weiteres Leben in sogenannten geistigen Berufen geprägt hat. In Jens Harzer beginnt der Gedanke sofort zu arbeiten:
Jüngst stand er am Fußballplatz, sein 13jähriger Sohn spielte mit seiner Stadtteilmannschaft, es war, trotz aller Ambitionen, das unbeschwerte Spiel von Kindern, und plötzlich sah sich Jens Harzer selbst, 13jährig: In dem Alter bist du schon mit deinem heiligen Ehrgeiz zu Laufwettkämpfen gefahren. „Ich habe mich damals sehr in den Fängen dieser Welt befunden, und ich habe mich dort auch sehr gern befunden. Aber vielleicht war es zu früh. Denn es war mit Unsicherheit und Einsamkeit verbunden.“
Ein Bild, von 30 Jahren vergangenen Jahren ungetrübt, kommt ihm in den Sinn: Er sitzt allein im Auto einer fremden Familie. Der Vater eines Jungen aus dem Leichtathletik-Verein hat ihn zum Crosslauf in Wolfskehlen mitgenommen. Die anderen aus seinem Verein, der Skizunft Wiesbaden, sind draußen auf der Strecke, beim Anfeuern oder Laufen (…) Sein Rennen steht erst in anderthalb Stunden an. Er bleibt allein im fremden Auto zurück, um ein Taschenbuch zu lesen, das er sich selbst gekauft hat, mit 15: Sportpsychologie. Grundlagen, Methoden, Analysen aus der Reihe rororo. Beim Kapitel „Vorstart-Angst“ macht er ein Kreuzchen. (…)
Er hat das Buch heute noch. (…) Er hat auch noch die Vorstart-Angst … Sie packt ihn, all den hymnischen Kritiken, all dem eigenen Erfahrungsschatz zum Trotz, vor den meisten Theaterauftritten wieder: „Dieses unglaubliche Misstrauen gegen mich selbst hat mich nie losgelassen: Kann ich das jetzt leisten, kann ich meinen eigenen Erwartungen an mich standhalten?“
Es ist nur auf den oberflächlichen Blick ein Widerspruch, dass sich Jens Harzer gegen den äußeren Druck, die Urteile des Publikums und des Regisseurs, immun fühlt, ihn gleichzeitig aber der innere Druck belastet. Beides, die Immunität gegen außen wie die innere Qual, hat ihn das Laufen gelehrt. Laufen verschafft das Gefühl, vollends selbst für seine Leistung verantwortlich zu sein. Diese Überzeugung macht einen unabhängiger von der Meinung anderer, erhöht aber auch den Eigendruck. Jens Harzer wird diese Geisteshaltung nicht mehr los, obwohl er längst auf der Bühne statt auf der Tartanbahn steht. „Deswegen stimmt wohl die Formulierung: Man ist immer noch Läufer.“
Auch wenn mancher Nicht-Sportler über den „heiligen Ehrgeiz“ stolpern mag: für Leser, die mal Läufer waren (oder umgekehrt) ist das große Literatur. Und das zeigt sich vor allem darin, dass jeder Läufer-Leser, von Ronald Reng angestiftet, sofort seinen eigenen Roman zu dem Thema parat hat.
Bei mir (den Kilometer nie unter drei Minuten gelaufen, dafür den Berlin-Marathon vor – hoppla – 25 Jahren mal in drei Stunden) würde er damit enden, wie man dem doch recht anal auf Zahlen und Zeiten fixierten Leistungsethiker in sich entkommt (mein Marathon-Tempo von 1993 - 4:20er-Schnitt - verfolgt mich bis heute, weil mir ab dem Wilden Eber klar war, dass ich nicht unter drei Stunden ins Ziel kommen würde). Zweimal die Woche laufe ich super langsam im Dunkeln (fühlt man sich schneller, wie mir Ronald Reng in „Warum wir laufen“ ebenfalls schlüssig erklärt hat), zum Humboldthain und zurück. Beim äthiopischen Minimarkt in der Brunnenstraße höre ich auf. Kauf mir ein Bier, rauch eine und spaziere die restlichen Meter zum Cooldown nach Hause. Früher hätten wir dazu Wandertag gesagt. Heute freut man sich über alles, was noch geht und denkt: bloß nicht zu gesund!
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