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Quelle: privat
Spionin, Detektivin oder Archäologin wollte ich eigentlich werden. Dann reichte es nur zur Schriftstellerin. Zumindest kann ich seitdem meiner Passion im Recherchieren nachgehen. Bislang hielt ich mich dazu in verschiedenen Ländern, wie Portugal, Österreich, USA oder Japan auf. Mein letzter Roman "O.", eine Neuschreibung der Odyssee aus weiblicher Perspektive, ist im März 2020 erschienen. Außerdem gibt einen neuen Essayband mit dem Titel "Erfundene Heimaten". Zurzeit arbeite ich an einem Projekt, das sich mit der Darstellung von Historie in aktuellen literarischen Werken beschäftigt.
Denn wenn ihre Männer, Söhne, Brüder, Väter bereits tot sind, beginnt das Leiden der Frauen mit Verschleppung, Vergewaltigung, Verdinglichung erst. Zu ihren Aufgaben gehört es dann, die feindlichen Kämpfer anzufeuern, gut zuzuhören, Wein und Essen zu servieren, die Toten zu waschen, die Verwundeten zu versorgen, die Beine breit zu machen und ihren Eigentümern Kinder zu gebären. Aus edlen Herrschergattinnen werden so farblose und ohnmächtige Geschöpfe. Sie müssen gehorchen und schweigen, werden als Sklavinnen von Besitzer zu Besitzer gereicht wie Gegenstände, sind Tauschgut im männlichen Spiel um Ehre und Stolz. Und dieser Teil ihrer Existenz dauert länger als das Kampfgeschehen.
Achill jedoch ist fast verliebt in die geraubte Briseis, muss sie dann aufgrund eines Fluchs an Agamemnon abtreten, worauf der Held schmollt. Barker schildert ihn als eigensinnig, unversöhnlich und wenig sympathisch. Nur sein Freund Patroklos zeigt menschliche Regungen. Dazu ist Achill ein Muttersöhnchen, das nicht darüber hinwegkommt, dass Mutter Thetis ihn als Kind verlassen hat. Barker wählt für diese Nachempfindungen einen nüchternen Ton, in dem sie entlang von Homers "Ilias" erzählt. Die Story wird abwechselnd aus der Perspektive der Sklavin und der eines allwissenden Erzählers berichtet.
Schließlich zieht Patroklos in die Schlacht, wird getötet und Achill in seinem narzisstischen Schmerz darüber angreifbarer. Nur dann wechselt er ein paar direkte Worte mit der ansonsten stummen Sklavin. Die Autorin muss ja auch das Rätsel lösen, warum Briseis letztlich bei Achill blieb, obwohl sie die Chance gehabt hätte, zu fliehen. Sie deutet dies einerseits als Verbundenheit im Leiden, verweist anderseits auf die Unmöglichkeit der Sklavin, als Entehrte an ihren Herkunftsort zurückzukehren, der ohnehin zerstört ist.
Um Patroklos’ Tod zu rächen, kämpft Achill wieder und tötet seinen größten Feind Hektor. Interessant ist, dass der Körper des Trojaners unzerstörbar bleibt. So oft Achill ihn auch unkenntlich machen will, so oft wird er durch göttliche Macht wiederhergestellt. Überhaupt verwendet Barker Körperlichkeit als Ausdruck von inneren Vorgängen, beschreibt Achills Gang, sein Torkeln, seine Bewegungen im Schlaf, seine Schreie. Auch die Tötungsszenen sind ausführlich geschildert. An welcher Stelle der Speer den Feind trifft, Eingeweide, die herausquellen, Hälse, die aufgeschlitzt werden; vielleicht, weil der Mann im Tod ebenfalls zum Ding wird? Überhaupt kommt es in Zeiten des Kriegs zu einem Ineinander von toten und lebendigen Körpern. Achill schläft nächtelang neben der Leiche des Patroklos, kann sich nicht von ihm trennen, weil er die Tatsache seines Todes als Motor für seine Kampfkraft braucht. Briseis wiederum legt sich bei ihrem Fluchtversuch auf den Wagen zur Leiche Hektors, die nach Troja gebracht werden soll.
Schließlich begibt sich Achill zurück in den Krieg und damit in den Tod. Die höchste Wertschätzung, die er seiner Sklavin entgegenbringen will, ist, sie mit einem Freund zu verheiraten, der für sie und sein Kind sorgen soll. Damit wird Briseis in den Rang einer Ehefrau erhoben und geschützt, jedoch nur als Mutter eines Heldenkindes.
Worin gründen also die Überlebenschancen der Frauen in diesem Krieg?
In Passivität, Gehorsam und Schweigen.
Parkers Roman bleibt von Anfang bis Ende düster, weil man sich als Leserin höchstens manchmal über die Sturheit der Helden amüsieren kann. Doch für die Frauen gibt es weder im Leben noch danach eine positive Wendung. Briseis begreift zu Ende auch, dass nicht sie Gegenstand von Erzählungen für die Nachwelt sein wird, keine der Frauen, sondern dass sich alle Überlieferung auf den gefallenen Achill konzentrieren wird. Er überlebt als Held einer Geschichte, weil keiner der Nachgeborenen von den grausamen Hintergründen wissen will, von vergewaltigten Frauen, massakrierten und deformierten Körpern. Frauen haben in glamourösen Heldenepen grundsätzlich zu schweigen und unsichtbar zu bleiben.
Wie das in der Fernsehserie gelöst werden soll, denen Autorin Barker ihren Stoff verkaufen konnte, bleibt abzuwarten. Aber anscheinend braucht die Game-of-Thrones-Maschinerie Nachschub. Diesmal halt klassische Antike. Schmollender Achill und sexy Briseis mit Hintergedanken? Mal kucken.
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Als entehrte Sklavin irgendwo dahinzuvegetieren sei schlimmer als als toter Held auf dem Schlachtfeld zu liegen? Weil das Schlachten ja nur kurz dauern konnte? Und vielleicht gut ausgehen konnte? Dass man mit dem Leben davonkam und nur ein Bein oder ein Auge verloren hatte? Mir ist unklar, zu welchem Ende solche Alternativen aufgebaut werden. In der Ilias werden zahllose Konflikte aufgebaut und auf kürzestem Raum abgehandelt, etwa die Todesangst Hektors, die er gegenüber Andromache und seinem Söhnchen nicht zeigen darf, nachdem er die Vaterstadt im Zweikampf gegen den göttergleichen Achilleus verteidigen soll, er und nicht der Nichtsnutz Paris, dem im 7. Gesang sogar seine Helena weiter zugestanden wurde. Und dann wird er von Achill um die Stadtmauer gejagt. Die Kassandra war ja schon Gegenstand des ersten Leserbriefs. Man nehme sich weiter die heldenhaften Frauen Elektra, Antigone und Penthesilea. Waren die stumm? "Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da!" sind die berühmten Worte, die sie ihrem Onkel Kreon entgegnet. Und Atossa, Xerxes' Mutter, die vom Untergang der persischen Flotte hört. Das Wasser vor Salamis soll so rot gewesen sein wie die Beresina beim Untergang der "Grande Armee" 2000 Jahre später. Schneller Tod für den Mann ist besser als Sklavendasein für die Frau? Die Thraker sollen mal gegen einen nordgriechischen Stamm eine Schlacht gewonnen haben. Sie blendeten von 100 Gefangenen 99, raubten dem 100. ein Auge, und entließen die Krüppel in die "Freiheit". Laser wurden damals zur Blendung nicht benutzt. Man kann nur mit Wilhelm Tell sagen: "Ein furchtbar wütend Schrecknis ist der Krieg//Die Herde schlägt er und den Hirten."
Von Pat Barkers las ich bislang nur ein Buch aus ihrer Trilogie, die im Ersten Weltkrieg spielt. Den Roman habe ich in guter Erinnerung.
Wenn unter "glamourösen Heldenepen" die verkitschte Antike in Hollywood verstanden wird, stimme ich zu.
Wenn jedoch darunter auch Homers ILIAS fällt, muss ich widersprechen. Vor etlichen Jahren, vor meiner ersten Reise in ein Krisengebiet, lasen wir in einer Vorbereitungsgruppe ACHILL IN VIETNAM von Jonathan Shay, in dem er mit seiner Forschungsgruppe die Traumatisierung von Vietnam-Veteranen mit Passagen aus der ILIAS vergleicht. Sein Ergebnis: die Traumatisierung oder die "Verwandlung des Krieges in den Berseker" folgt universellen Regeln, die heute noch aktuell sind.
In der ILIAS findet man die erste Frau, die widerspricht und die bis heute viele kennen, die Homer nie gelesen haben: Kassandra.
Wenn man die griechische Antike weiter sichtet, findet man erstmalig Frauengestalten, die bis heute weiter wirken und die nicht schweigen, sondern widersprechen und handeln: Medea, Antigone, Iphigenie und viele andere.