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Kurator'in für: Europa Fundstücke Kopf und Körper
Ich lebe in Marburg und schreibe über Gesundheit und Gesundheitspolitik.
Wenn man übers Impfen schreibt, rechnet man schon damit, dass es in den Kommentarspalten – wie soll man sagen? – lebhaft zugehen wird. Das Impfthema bringt Traffic, ohne Zweifel. Doch wenn wissenschaftlich belegte Erkenntnisse hemmungslos diskutiert, in Frage gestellt und in Pro-und-Contra-Formaten gegenüber unbewiesenen Annahmen "abgewogen" werden, hat das Folgen.
Nicht nur trägt das dazu bei, dass die Impfraten sinken – es beeinflusst inzwischen auch die Forschungspraxis. Wissenschaftler, die untersuchen, wie sich Impfstoffe verbessern lassen und welche Impfschemata sinnvoll sind, überlegen sich sehr viel gründlicher, ob sie mit negativen Nachrichten an die Öffentlichkeit gehen sollen.
Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass jeder Versuch, zu differenzieren bei einem so kontrovers diskutierten Thema dazu führen kann, dass die Polarisierung weiter zunimmt. Menschen, die bestimmte Glaubenssätze haben, fühlen sich durch solche Erkenntnisse häufig nicht nur bestätigt, sie erwarten sie förmlich (I told you so). Man kann es beklagen, aber: Das Impfthema gehört inzwischen zu der Themengruppe, mit denen sich Weltbilder definieren lassen.
Befeuert wird das Phänomen zusätzlich, wenn aus Studienergebnissen wie "die Grippeimpfung senkt die Zahl der Grippetoten in der Altersgruppe der über 65-Jährigen weniger stark als bisher angenommen" Schlagzeilen werden wie "die Grippeimpfung tötet Senioren, warnt eine Studie".
Die Wissenschaftsjournalistin Melinda Wenner Moyer beschreibt hier, wie sich Wissenschaftler selbst zensieren und auch von KollegInnen gewarnt werden, weil man das Medienecho fürchtet. Und das kann dazu führen, dass Forschung, die auf mögliche Probleme hinweist, nicht weiter verfolgt wird oder dass sich kein Journal finden lässt für eine Veröffentlichung.
Dabei ist es extrem wichtig, dass alle Forschungsergebnisse veröffentlicht und überprüft werden können. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Impfrisiken erkannt und Impfungen weiter verbessert werden können.
Quelle: Melinda Wenner Moyer EN nytimes.com
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