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Zarte Metzger – Wie glaubwürdige Geschichten unter spielerischen Machtfantasien leiden

Christian Huberts
mächtiger™ Kulturwissenschaftler und Kulturjournalist
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Christian HubertsDonnerstag, 19.11.2015

Lara Croft – verletzlich, ängstlich, unerfahren und auf einer gefährlichen Insel gestrandet. Im Tomb Raider-Reboot von 2013 ist die abgebrühte Pop-Ikone der 90er kaum noch wieder zu erkennen. Man merkt schnell, diesmal soll ein nachvollziehbares, menschliches Überlebensdrama erzählt werden und kein cooler Action-Trip. Doch schon wenige Spielstunden später hat sich die junge Archäologin ein Waffenarsenal zusammengesammelt von dem John Rambo nur träumen kann. Und sie hinterlässt eine blutige Spur der Verwüstung, übersät mit hunderten der verstümmelten Körper ihrer Feinde. Verletzlich? Ängstlich? Unerfahren? Wohl viel mehr ist Lara Croft eine effiziente, psychopathische Tötungsmaschine. Spiel und Geschichte klaffen hier bizarr auseinander.

Auf dieses – oft als ludonarrative Dissonanz bezeichnete – Phänomen in Games hinzuweisen, verursacht bei den meisten Spielenden jedoch nur Augenrollen. So als würde man die Funktionsweise eines Warp-Antriebs ernsthaft in Frage stellen oder skeptisch auf die Bindfäden an den Film-UFOs zeigen. Wer sowieso nur gut unterhalten werden möchte, dem ist es schlicht egal, wenn der Todesstern lediglich Kulisse und der überraschende Plot-Twist völliger Unsinn ist. Doch nach Meinung des Journalisten Simon Parkin, sollten Kritiker nicht aufhören, auf das schwierige Verhältnis von glaubwürdigen Narrativen und ludischen Machtfantasien hinzuweisen.

Das Problem ist nämlich auch ein strukturelles. Zwar leisten sich Entwicklerstudios mittlerweile regelmäßig talentierte Autor*innen – bei Tomb Raider immerhin Rhianna Pratchett –, diese arbeiten aber nur selten direkt mit dem eigentlichen Game-Design-Team zusammen. So wird im Zweifelsfall jede gute Geschichte durch unpassende Spielinhalte konterkariert. Etwa auch wieder beim brandneuen Serien-Sequel Rise of the Tomb Raider. Parkin fordert daher für die Zukunft, dass Autor*innen und Entwickler*innen enger zusammenarbeiten und nach gemeinsamen Lösungen für die Widersprüche von Story und Spiel suchen.

Zarte Metzger – Wie glaubwürdige Geschichten unter spielerischen Machtfantasien leiden

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Kommentare 6
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor 9 Jahren

    Ludonarrative Dissonanz - wieder was gelernt. Vielen Dank für den guten Pitch!
    Walking Dead lief doch ganz erfolgreich und hat enormen Wert auf eine schlüssige Charakterentwicklung gelegt. Hatte das keinen Einfluss auf die Branche?

    1. Christian Huberts
      Christian Huberts · vor 9 Jahren

      Ja, es gibt durchaus Beispiele, wo der Spagat gut klappt. Aber gerade bei »The Walking Dead« lautet der Vorwurf vieler Spieler dann wiederum, dass die eigenen Handlungen zu wenig bewirken. Ohnmachtsgefühle in der Zombie-Apokalypse, say what? ;-)

      Langfristig muss sich also auch etwas an der Erwartungshaltung der Spielenden ändern. Der so genannte "player narcissism" steht im Weg von inhaltlicher Progression. Man kann in Computerspielen einfach schlecht Geschichten über Verlust, Hilflosigkeit oder Einsamkeit erzählen, wenn man den Spielenden nicht auch mal Rückschritte zumutet, ihre Handlungsmacht einschränkt oder sie in der Spielwelt völlig alleine lässt. Das ist dann natürlich nicht nur Spaß, aber das sind viele anspruchsvolle Bücher/Filme/Theaterstücke/etc. ja nun auch nicht.

    2. Philipp Stauber
      Philipp Stauber · vor 9 Jahren

      @Christian Huberts Wenn du den Vergleich schon bemühst - es lesen auch viel mehr Leser "anspruchslose" Unterhaltungslektüre als die Werke von Nobelpreisträgern. Auch Hollywood tickt hier nicht viel anders, die einfache Unterhaltung für die Massen macht den Umsatz.

      Ich denke, dass die narrativen, inhaltlich anspruchsvollen Spiele in den letzten Jahren gerade im Indie-Bereich einen großen Fortschritt gemacht haben, man denke z.B. an "This War of Mine" oder Ähnliches. Auch im Mainstream gab es neben dem genannten "The Walking Dead" z.B. "Spec Ops - The Line", "Life is Strange" und einige andere, die in diese Kerbe schlagen.

      Was ich sagen will - Spiele sind hier auf dem gleichen Stand wie andere Medien und ich bin fast sicher, das wird auch so bleiben.

    3. Christian Huberts
      Christian Huberts · vor 9 Jahren

      @Philipp Stauber Ich stimme Dir absolut zu, dass es mittlerweile viele gute Beispiele von Games gibt, die nach neuen Wegen suchen, um ihre Geschichten zu erzählen. Ohne Gewalt. Ohne Macht als [sic!] Killerfeature. Aber auf dem Stand von anderen Medien sehe ich das noch nicht.

      Gewalt bleibt in Games das vorherrschende – und ziemlich billige – Rezept für Unterhaltung. Und eben auch nicht sonderlich subtile, überraschende oder differenzierte Gewalt, sondern effekthascherischer Splatter! Da geht selbst Hollywood andere Wege. Wohl auch, weil zu krasse Brutalität die meisten Konsumenten eher abschreckt als zur Investition zu bewegen. Und auch in der sich verändernden Spielkultur regt sich Kritik an Gewalt als zentrale Rhetorik. Wird halt auch langweilig…

    4. Philipp Stauber
      Philipp Stauber · vor 9 Jahren

      @Christian Huberts Ja, Hollywood geht andere Wege. Die Frage ist, ob die konsequente Verharmlosung von Gewalt, die Hollywood betreibt um sie auch Jugendlichen schon servieren zu können wirklich so viel Besser ist. Wenn in Avengers die Aliens die Erde angreifen und die Zivilbevölkerung davon quasi nicht betroffen ist erinnert das schon fast an die Schiessereien des A-Team in den 80ern, kann aber Jugendlichen präsentiert werden. Empfinde ich ehrlich gesagt als auch nicht viel Besser. Und letztlich bedient Hollywood imho die gleichen Machtfantasien mit ihren Helden. Nur eben nicht interaktiv, die Muster unterscheiden sich gerade im Vergleich zu Actionfilmen wenig, ich kann mich jetzt auch nicht erinnern das John McLane irgendwie differenziert oder subtil seine Gegner ausschaltet. ;-)

    5. Christian Huberts
      Christian Huberts · vor 9 Jahren

      @Philipp Stauber Aber insgesamt ist die Vielfalt bei Film-Blockbustern dann doch etwas höher. Es gibt eine viel breitere Palette von Interessen und Bedürfnissen, die bedient werden. Komödien, Dramen, Biopics, Thriller etc. pp. Action ist da nur eine mögliche Erfolgsstrategie. Und selbst dort ist der Typus »John McLane« dem Typus »Thor« gewichen. Götter mit Momenten der Demut und dem Bewusstsein für ihre Taten.

      Die Spielkultur hat das auch, aber noch viel zu selten. Oder es wird versucht – wie bei Tomb Raider – alles mögliche über Action zu erzählen. Action-Komödien, Action-Dramen, Action-Biopics, Action-Thriller etc. pp. Es fehlt in der Breite noch das Vertrauen darin, dass ein Stoff, ein Setting, eine Geschichte, eine Mechanik auch ohne explodierende Köpfe und durchgeschnittene Kehlen funktioniert…

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