In der Ukraine-Frage steht die deutsche Regierung zunehmend unter Druck. Von den USA und Großbritannien wird sie argwöhnisch betrachtet, ebenso von Intellektuellen hierzulande. Berlins Haltung wird als zu zögerlich empfunden. Dieser Tage haben 350 Künstler, Wissenschaftler und Politiker einen Appell von Wolf Biermann unterzeichnet. Darin heißt es: "Die Umzingelung der Ukraine mit russischen Truppen ist ein Angriff auf den Frieden in ganz Europa."

Zu den Unterzeichnern zählt Karl Schlögel, einer der großen Osteuropa- und Russlandkenner. Im gepiqden Interview mit DLF Kultur kritisiert er Moskau für die Verbreitung von Lügen und Aggressionen. Er fordert die Unterstützung der Ukraine, auch militärisch – nicht zuletzt aus historischen Gründen.

Ebenfalls dieser Tage forderten 350 ukrainische Juden die Bundesregierung auf, klarer Stellung zu beziehen – hier nachzulesen.

Jetzt sprechen wir über die Existenz der Ukraine als unabhängigem und souveränem Staat und als Konsequenz über die Stabilität des gesamten Kontinents.

Gegen einen Krieg wenden sich übrigens auch russische Intellektuelle, die den politischen Kurs ihres Landes ablehnen, was man hier nachlesen kann. Ihr Dokument wurde ebenfalls erst dieser Tage veröffentlicht.

Biermanns Appell wird unter anderem von Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller unterstützt. In einem aktuellen und kostenpflichtigen Interview mit dem Spiegel (hier auf Blendle) sagen die beiden Literaturnobelpreisträgerinnen:

Alexijewitsch: Es ist unbestreitbar, dass weder der rote Mensch noch die Diktaturen gestorben sind.

Und Herta Müller formuliert frontal:

SPIEGEL: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagt: »Wer redet, schießt nicht.«

Müller: Was für ein dummer, abgenutzter Satz. Geredet wird immer, auch wenn geschossen wird. Es ist schrecklich, wie sich unsere Politiker jetzt äußern. Lars Klingbeil von der SPD kommt sich ja schon mutig vor, wenn er Russland als den Verursacher der Eskalation benennt. Wie kann man denn so feige sein? Und was hat er noch gesagt? »Wir müssen jetzt den Frieden organisieren.« Als könnte man so etwas »organisieren«. Ich finde es schlimm, dass diese Leute die Tragweite ihrer Aussagen gar nicht mehr übersehen. Deswegen schauen ja jetzt alle auch so besorgt auf Deutschland. Die Ukrainer müssen sich verteidigen können.

Wird Putin demnächst die Ukraine angreifen? Danach sieht es trotz des Truppenaufmarsches aktuell eher nicht aus, schreibt Patrick Wintour, Diplomatie-Experte des Guardian:

Momentan sieht Frankreich, das über die gleichen Informationen der CIA und anderer Dienste wie die US-Regierung verfügt, keinen bevorstehenden Angriff Russlands oder keine Konzentration von Kräften, die auf eine Invasion in den nächsten Wochen deuten. Ein Urteil, das im Übrigen von den besten ukrainischen Verteidigungsanalysten geteilt wird.

Aber kann man Putin trauen? Will er nur spielen? Es wäre jedenfalls nicht seine erste Landnahme, siehe Krim, siehe Abchasien und Südossetien. Und so lange er seine Truppen nicht zurückzieht, destabilisiert er die östliche Ukraine.

Der Zuspruch zu Biermanns Appell zeigt, wie sehr sich der Wind hierzulande gedreht hat. 2014 noch forderten 60 Persönlichkeiten, darunter Roman Herzog, Antje Vollmer, Mario Adorf, Horst Teltschik, Wim Wenders und – wenig überraschend – Gerhard Schröder zu einem Dialog mit Moskau auf und warnten vor einem Krieg. Von ihnen ist derzeit wenig zu hören.